Die Auftaktfolge der dritten Staffel von “Star Trek: Strange New Worlds” löst den Gorn-Cliffhanger aus dem Finale der zweiten Staffel auf. Die Episode setzt auf Action und Effekte, bietet aber auch Raum für Drama und einige Charaktermomente.
Achtung, SPOILER!
Rückkehr nach zweijähriger Pause
Nach zwei Jahren Pause ist “Strange New Worlds” mit “Hegemonie, Teil 2” (“Hegemony, Part II”) zurück. Zehn neue Folgen hat die dritte Staffel. Die Werbemaßnahmen vor dem Staffelstart waren überschaubar, Specials wie “Behind the Scenes”-Features oder Cast-Interviews hätten die Serie in den vergangenen Monaten sichtbar halten können. Aber verschüttetes Wasser lässt sich nicht mehr auffüllen, wie eine bekannte Redewendung richtigerweise feststellt. Man kann also nur hoffen, dass die Serie bei den Gelegenheitszuschauern nicht komplett in Vergessenheit geraten ist.
Staffel 3 beginnt mit einem Doppelfeature, das ich jedoch in zwei separaten Rezensionen betrachten will. Los geht’s mit “Hegemonie, Teil II”.
Handlung
“Hegemonie, Teil II” knüpft direkt an das Finale der zweiten Staffel an: Die Gorn haben Kolonisten von Parnassus Beta sowie Teile der Enterprise-Crew, darunter La’an, Ortegas, Sam Kirk und Dr. M’Benga, auf eines ihrer Schiffe entführt. Die Enterprise verfolgt das Schiff und gerät dabei unter heftigen Beschuss. Schlussendlich gelingt es aber, das Gorn-Schiff für eine spätere Verfolgung zu markieren.
Das Sternenflottenkommando ordnet sodann den Rückzug an, da Parnassus Beta ein Beitrittskandidat, aber noch kein Mitglied der Föderation ist und ein Konflikt mit den Gorn nach dem Krieg mit den Klingonen vermieden werden soll. Captain Pike erhält jedoch inoffiziell von Admiral April die Erlaubnis, in den Gorn-Raum vorzudringen, um die Entführten zu retten.
Auf der Krankenstation kämpft derweil Captain Batel gegen eine tödliche Infektion mit Gorn-Eiern. In Abwesenheit von Dr. M’Benga arbeiten Nurse Chapel und Spock an einer Lösung. Trotz zunächst aussichtsloser Simulationen gelingt es, Batel zu retten.
Zur gleichen Zeit fliehen M’Benga, La’an, Ortegas und Kirk mit einem gestohlenen Gorn-Shuttle und befreien mit Hilfe der Enterprise die verbliebenen Kolonisten. Ortegas wird jedoch schwer verletzt, was womöglich noch Nachwirkungen haben könnte.
Dank einer Idee von Una und Uhura und der Unterstützung der beiden Ingenieure Pelia und Scotty werden die Gorn in eine Schlafphase versetzt. Der Konflikt ist vorerst eingefroren, doch eine erneute Gorn-Invasion scheint wahrscheinlich.
Story & Drehbuch
Davy Perez schrieb das Drehbuch für “Hegemonie, Teil II” basierend auf einer Story von ihm und Henry Alonso Myers. Es ist sein vierter Beitrag zu “Star Trek: Strange New Worlds” nach “Memento Mori”, “All Those Who Wander” (Staffel 1) und “Under the Cloak of War” (Staffel 2). Perez ist auch bekannt für “Supernatural” (2016–2020) und “American Crime”. Seine Drehbücher für SNW haben oft eine düstere, horrorartige Atmosphäre, wobei “Under the Cloak of War” dialoglastiger war.
Auch “Hegemonie, Teil II” setzt vordergründig auf Action, Horror und Dramatik, mit den Gorn als imperialistische Monster-Bedrohung, die eine geschwächte und kriegsmüde Föderation herausfordert. Der Titel “Hegemonie” verweist sowohl auf den Expansionsdrang der Gorn als auch auf deren Raum, in den die Enterprise zeitweise eindringt.
“Strange New Worlds” strebt hier offensichtlich eine allegorische Erzählung an: In einem Dialog zwischen Admiral April und Captain Pike wird darüber debattiert, ob die Föderation zurückhaltend agieren oder Stärke zeigen soll, da Parnassus Beta ein Beitrittskandidat ist. Die Parallele zur Ukraine als NATO-Beitrittskandidat liegt folglich auf der Hand – die Gorn stehen für Russland, die Föderation für den Westen bzw. die NATO.
Erwartungsgemäß spiegelt “Hegemonie, Teil 2” in ihrem Grundtenor den westlichen Mainstream-Narrativ wider, bleibt in ihrer Erzählung aber leider eindimensional und gänzlich unkritisch: Der Konflikt mit den Gorn wird ausschließlich als Folge ihres Imperialismus dargestellt, während komplexe Faktoren wie die eigene Föderationsexpansion (vergleichbar mit der NATO-Osterweiterung) oder prägende historische Beziehungen in der betreffenden Region des Weltraums ausgeblendet oder sogar verzerrt werden (etwa durch eine Erdenkolonie statt einer Analogie zur Kiewer Rus oder Sowjetunion). Verhandlungen mit den Gorn gelten aufgrund ihrer primitiven Natur als aussichtslos und werden daher nicht einmal versucht. Letztlich führt dies alles zu einem Nullsummenspiel – wie so oft in “NuTrek”.
Meiner Meinung nach wäre die intendierte Allegorie nuancierter und überzeugender erzählt worden, wenn die Kolonie auf Parnassus Beta neben einer historischen Verbindung zur Föderation auch politische oder wirtschaftliche Beziehungen zu den Gorn gehabt hätte. Insbesondere fehlt die Perspektive der Gorn, die den Konflikt vielschichtiger gemacht hätte. Konstruktivistisch betrachtet, bestimmen gegenseitige Bedrohungswahrnehmungen die Dynamik von Konflikten, was hier weitgehend unberücksichtigt bleibt. Dadurch wirkt der Konflikt eindimensional und oberflächlich.
Wenn man ehrlich ist, dann waren auch einige frühere “Star Trek”-Konflikte, wie die mit den Klingonen in “The Original Series” oder den Borg in “The Next Generation”, hinsichtlich der Antagonisten-Motivation oft vereinfacht dargestellt. Man denke hier zum Beispiel an “Errand of Mercy”. Im Gegensatz dazu bot “Deep Space Nine” mit dem Dominion-Konflikt nuanciertere Perspektiven, insbesondere durch die Ambiguität der Gründer und komplexe politische Aspekte.
Allerdings verfolgte bereits die Originalserie in Episoden wie “Balance of Terror” oder “A Private Little War” auch moralisch ambivalente Ansätze und beleuchtete dabei politische Grauzonen. Zwar befürwortete die Serie letztlich eine Politik der Stärke im Sinne einer Abschreckungs- und Eindämmungspolitik gegenüber den Klingonen und Romulanern, doch diese Episoden hatten das Thema zuvor differenziert betrachtet. In “Day of the Dove” wurde zudem die Abrüstung als Mittel zur Deeskalation thematisiert, indem die Crew der Enterprise und die Klingonen sich gezwungen sahen, ihre Feindschaft zu überwinden, um einer mysteriösen außerirdischen Macht, die sich von Hass ernährt, zu entkommen.
Auch “Strange New Worlds” knüpft an die TOS-Tradition an, eine Abschreckungspolitik zu befürworten, bleibt dabei jedoch weitgehend eindimensional. Moralische Grautöne werden vermieden; vielmehr greift die Serie auf ein sehr vereinfachendes manichäisches Weltbild zurück: Die Gorn werden als klar böse dargestellt, während die Föderation moralisch überlegen erscheint.
Ein konstruktivistischer Ansatz, der die Sicht der Gorn auf die Föderationsexpansion oder ihre gemeinsame Vergangenheit beleuchtet, hätte der Handlung von “Hegemonie, Teil 2” mehr Tiefe verliehen. Stattdessen bleibt die Episode in einem Schwarz-Weiß-Schema und propagiert weitgehend unkritisch zeitgenössische Narrative einer “alternativlosen” Aufrüstung als Gegengewichtspolitik, bis hin zur Befürwortung von “Kriegstüchtigkeit”. Dies wirkt insgesamt konformistisch und wenig gesellschaftskritisch.
Die Handlung von “Hegemonie, Teil 2” unterhält dank eines guten Tempos, wirkt jedoch stellenweise vorhersehbar. Das Technobabble sorgt für typischen ‘Star Trek’-Charme. Glücklicherweise sind diverse Logiklöcher in dieser Episode weniger störend als noch im ersten Teil. Irritierend ist jedoch, dass die Enterprise trotz Batels medizinischem Notfall keinen weiteren Arzt an Bord hat, obwohl ein Personaltransfer durch ein Zusammentreffen mit der Flotte möglich gewesen wäre. Folglich muss Nurse Chapel erneut wie eine voll ausgebildete Ärztin agieren, was die Figur übertrieben heroisiert.
Die Auflösung des Gorn-Konflikts erinnert derweil an “The Best of Both Worlds, Part II”, und die Flucht vom Gorn-Schiff wirkt – so gänzlich ohne spannende Wendungen – irgendwie ideenlos. Das hat man so schon x-mal gesehen.
Charaktere
Die Charaktere in ‘Hegemony’ bleiben überwiegend in bekannten Mustern. Pike ringt wieder zwischen seiner Sorge um Batel und seiner Verantwortung für die Enterprise, wirkt dabei jedoch stellenweise emotional belastet.
Besonders irritierend ist, dass er hier eine harte Linie gegen die Gorn verfolgt. In “A Quality of Mercy” hatte er dies gegenüber den Romulanern noch mit verheerenden Folgen abgelehnt. Anschließend erkannte er, dass er sein vorbestimmtes Schicksal akzeptieren muss, damit ein ‘Hardliner’ wie James T. Kirk zur richtigen Zeit als sein Nachfolger agieren kann – so lautet die deterministische Erzählung, die Pikes Schicksal als notwendig für das Wohl der Enterprise und der Föderation darstellt.
In “Hegemony, Teil 2” handelt Pike jedoch stellenweise wie Kirk in “Balance of Terror” gegen die Romulaner. Dies könnte normalerweise als Charakterentwicklung gewertet werden, doch angesichts der deterministischen Erzählung in “A Quality of Mercy” lässt dies eher fragen, ob die Autoren ihre eigenen Narrative untergraben. Warum sollte Pike sein Schicksal nun noch akzeptieren? Er hat die Lektion doch scheinbar gelernt.
Positiv fällt hingegen der Kontrast zu Michael Burnham aus “Discovery” auf: Pike ist nicht übermenschlich und verlässt sich in manchen Situationen auf die Expertise seiner Crew, bringt jedoch auch selbst maßgebliche Ideen ein. In dieser Hinsicht ist “Strange New Worlds” mehr “Star Trek” als es das auf Burnham zentrierte “Discovery” je war – das verdient Lob. Die Autoren sollten jedoch vermeiden, dass Pike zu oft nervös oder zögerlich wirkt, wie es auch in dieser Folge manchmal der Fall war.
Una, M’Benga, La’an und Erica “I fly the ship” Ortegas bleiben ihren bisherigen Rollenmustern treu, hier gibt’s nichts Neues zu sehen. Bitte alle weitergehen!
Die angebliche “Krankenschwester” Chapel wird abermals überqualifiziert dargestellt, sodass es kaum mehr vermittelbar ist, dass diese Frau keine Assistenzärztin sein soll.
Und Spock? Der verhält sich immer noch wie ein verliebter Teenager mit Tränen in den Augen. Persönliche Beziehungsprobleme während einer lebensbedrohlichen medizinischen Behandlung zu diskutieren, wirkt enorm unprofessionell – besonders für einen Vulkanier. Die Handlung spielt 2261, nur vier Jahre vor TOS. Der Sprung vom emotionalen SNW-Spock zum rationalen TOS-Spock erscheint mir mittlerweile einfach zu krass. Es wird Zeit, diesen Charakterbogen endlich abzuschließen, bevor diese Figur gänzlich dekonstruiert wird!
Das Charakter-Highlight der Folge ist sicherlich die Schüler-Mentor-Beziehung zwischen Scotty und Pelia. Trotz der in meinen Augen etwas überstrapazierten komödiantischen Darstellung Scottys gefällt mir die Erklärung, dass er unter Zeitdruck besser arbeitet. Deshalb also Kirks “unmöglichen” Zeitvorgaben in TOS. Nicht schlecht…😆
Alles in allem wirkt Scotty auf mich aber immer noch zu jung und unerfahren, gerade im Vergleich mit Spock und dem, was wir bisher von James T. Kirk gesehen haben. In TOS ist Scotty ein gestandener Mann in seinen Vierzigern, hier wirkt er wie Mitte 20 (statt 39). Diese rapide Entwicklung muss man mir noch glaubhaft vermitteln.
Inszenierung
“Hegemonie, Teil 2” ist optisch ansprechend, mit starken Spezialeffekten und tollen Kulissen. Im Gegensatz zu “Picard” Staffel 3 ist die farbenfrohe Atmosphäre eine Wohltat. Die Neuinterpretation der TOS-Kostüme ist gelungen, die Musik und die Soundeffekte mit TOS-Referenzen unterstreichen den Prequel-Charakter.

Die Inszenierung von Chris Fisher lehnt sich für meinen Geschmack aber zu sehr an Filmklassiker und Mainstream-Trends an. Die Flucht vom Gorn-Schiff erinnert stark an “Independence Day” (1996) mit ihren schnellen Schnitten und actiongeladenen Schusswechseln. Zudem wird die Selbstreferenzialität zunehmend übertrieben; gefühlt greift jede Staffel einen “Star Trek”-Klassiker auf, hier eine wuchtige Schiffkollision. Ein eigenständigerer Ansatz würde der Serie guttun.
Schlussbetrachtung
“Hegemonie, Teil II” liefert die erwartete actionreiche und dramatische Auflösung des Cliffhangers aus der zweiten Staffel. Die Episode bietet durchaus spannende Momente und versteht zu unterhalten. Doch der Handlung mangelt es an den entscheidenden Stellen an Genialität und Überraschungen, wodurch die Lösung des Gorn-Konflikts und die Rettung aus der Notlage wenig originell wirken. Wenngleich ich den wissenschaftlichen Lösungsansatz an dieser Stelle unbedingt honorieren möchte.
Kritisch anzumerken ist zudem die einseitige Darstellung der Gorn und des Konflikts, die zusammen wie eine undifferenzierte Zustimmung zu aktuellen konfrontativen, mitunter militaristischen Narrativen wirken. Bitte nicht missverstehen: Das Statement selbst ist legitim, siehe TOS. Was stört, ist die erneute Scheu vor einer differenzierten und für manche Zuschauer eventuell auch unbequemen Auseinandersetzung mit weltpolitischen Konflikten der Gegenwart.
“Star Trek” sollte hier höhere Ansprüche verfolgen und darf mit utopischen Ansätzen auch gerne mal provozieren.
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Kleine Sekunde: Relativiert hier jemand einen brutalen imperialen Angriffskrieg durch Russland? Ich finde diese Bemerkungen völlig unangemessen. Natürlich kann man die Genese dieses Konflikts darstellen, aber die Schlussfolgerung ist völlig unstrittig: Putin ist ein Verbrecher reinsten Wassers. Wie wäre es, wenn Star Trek mal wieder klar für Werte einsteht und kämpft? Wir hier im Westen verpennen völlig, was sich um uns herum tut.
Nein, hier relativiert niemand etwas, und diesen Vorwurf weise ich auch entschieden zurück. Hier plädiert jemand lediglich für Differenzierung, Ambiguität und für utopische Narrative, die Hoffnung machen statt ausschließlich die Negativität der Gegenwart in eine fiktive Zukunft zu transportieren. Gewalt mit Gewalt beantworten, das muss ich nicht auch noch ständig in “Star Trek” sehen. Da reichen mir die Nachrichten. Ansonsten verweise ich auf meine Antwort an Mugi.
Viele Grüße
Eine schöne Rezension. Aber Russland IST ein brutaler imperialer Aggressor, dessen mörderische Taten durch nichts zu rechtfertigen oder relativieren sind. Auch nicht durch die NATO-Osterweiterung, der Russland in weiten Teilen sogar direkt zugestimmt hat. Bitte nicht von der Propaganda blenden lassen. SNW traue ich wirkliche Substanz bei der Verarbeitung dieser realweltlichen Themen nicht zu. TOS war damals viel reifer.
Erstmal danke für die positive Rückmeldung zu weiten Teilen meiner Episodenkritik! Ich hab aber schon irgendwie erwartet, dass irgendein Vorwurf wegen des Allegorie-Teils kommt. Die Unterstellung, ich ließe mich von „Propaganda blenden“, kann ich natürlich nicht so stehen lassen. Dein freundlicher Ton zeigt mir aber, dass du es sachlich meinst und nicht persönlich, weshalb ich auch nicht sauer bin oder es persönlich nehme. Aber trotzdem gibt’s von mir eine ausführliche Replik dazu. 😉 Ich habe mich in der zweiten Hälfte der 2000ern im Rahmen meines Studiums der Politikwissenschaft ziemlich intensiv mit der NATO bzw. Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigt. Als Gesellschaftswissenschaftler… Weiterlesen »