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StartSerienRezension: Picard 2x04 - "Watcher" / "Wächter"

Rezension: Picard 2×04 – “Watcher” / “Wächter”

Picard macht sich auf die Suche nach dem “Wächter” und trifft dabei auf eine alte Bekannte. Die vierte Episode der zweiten Staffel ist ereignisreich und detailverliebt zugleich. Warum “Watcher” für Trekkies ein wahres Fest ist, klärt unsere ausführliche Rezension. Achtung, SPOILER-Alarm!

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Handlung

Rios (Santiago Cabrera) ist in die Hände fragwürdiger Grenzschützer geraten, ihm droht die baldige “Abschiebung” – wohin auch immer. Raffi (Michelle Hurd) und Seven (Jeri Ryan) machen sich auf die Suche nach ihrem vermissten Kameraden und geraten hierbei in eine wilde Auto-Verfolgungsjagd mit der Polizei von Los Angeles.

Derweil macht sich auch Picard (Patrick Stewart) auf die Suche nach dem mysteriösen “Wächter”. Die Koordinaten, die Agnes der Borg-Königin entlockt hat, führen ihn in die Forward Avenue No. 10, wo er auf Guinans jüngeres Ich trifft. Guinan (Ito Aghayere) erkennt Picard allerdings nicht, hilft ihm später dann aber doch den “Wächter” zu finden.

Agnes (Alison Pill) bleibt unterdessen auf der La Sirena, um die Außenmission von dort aus technisch zu unterstützen. Hierbei muss sie sich allerdings den ständigen Manipulationsversuchen der Borg-Königin (Annie Wersching) erwehren…

Drehbuch & Kanon

Juliana James und Jane Maggs haben das Drehbuch für “Watcher” geschrieben, die Story stammt von Juliana James und Travis Fickett. James schreibt auch für die beiden Serien “Superman and Lois” und “Blood & Treasure”. Außerdem ist sie Co-Produzentin der TV-Serie “My Little Pony: Equestria Girls – Better Together“. Jane Maggs schrieb vor “Picard” unter anderem für “The Man Who Fell to Earth”, “Bellevue” und “Anne with an E”. Fickett wiederum ist insbesondere für seine Autorenschaft bei “12 Monkeys”, “Terra Nova”, “MacGyver” (Reboot) und “Nikita” bekannt.

Nun denn, viel “Star Trek”-Erfahrung hat das Autoren-Trio also nicht wirklich vorzuweisen. Und so stellt sich die berechtigte Frage, was wir von “Watcher” eigentlich erwarten dürfen.

Die Antwort lautet: sehr, sehr viel! Denn Folge 2×04 erweist sich nicht nur als wahres Schmankerl für nostalgische Trekkies, sondern auch als eine enorm ereignisreiche Episode mit gesellschaftskritischem Tiefgang. Ich kann mich eigentlich an keine zweite “NuTrek”-Folge erinnern, der es ebenso gut gelungen wäre, in nur 45 Minuten vier Handlungsstränge derart organisch zu erzählen. Neben der erfreulichen Tatsache, dass “Watcher” höchst unterhaltsam ist und die Handlung richtig stark vorantreibt, machen natürlich auch die zahlreichen Easter Eggs großen Spaß. Sämtliche Details würden allerdings den Rahmen dieser Rezension sprengen, weshalb ich an dieser Stelle auf YouTube oder andere Fan-Medien verweisen möchte, die das ausführlich aufdröseln.

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Kirk Randolph Thatcher als Mohawk-Punk – 1986 und 2021 (©Bilder: Paramount)

Hinsichtlich des Kanons legt “Watcher” jedenfalls ganz viel Liebe zum Detail an den Tag, was sicherlich auch auf die Mitwirkung von Terry Matalas als Executive Producer zurückzuführen ist. Die Szene mit dem Mohawk-Punk (Kirk Randolph Thatcher) ist einfach grandios – insbesondere deshalb, weil der laute Fahrgast über die Jahre scheinbar etwas klüger (und rücksichtsvoller?) geworden ist. Wenn man jetzt das Haar in der Suppe suchen wollte, könnte man vielleicht einwenden, dass Ghettoblaster – zumindest im öffentlichen Raum – schon seit langer Zeit völlig aus der Mode gekommen sind und die Szene daher etwas anachronistisch wirkt. Den nervenden Fahrgast, der im ÖPNV seine Smartphone-Musik voll aufdreht, kennt hingegen wohl jeder. Aber das tut der Genialität dieser “Star Trek IV”-Hommage gewiss keinen Abbruch. Ich habe mich jedenfalls köstlich amüsiert, auch wenn ich leider schon gespoilert war, als ich die Episode erstmals gesehen habe.

Hinsichtlich des Kanons wirft die Episode natürlich Fragen auf. Laut einer Aussage von Terry Matalas hat die Veränderung in der Zeitlinie auch dazu geführt, dass die Zeitreisen der “Next Generation” (wie wohl auch die der DS9- und Voyager-Crew) so nie stattgefunden haben. Das würde somit auch erklären, warum Guinan Picard zunächst nicht erkennt, obwohl sich beide schon im Jahr 1893 (TNG 6×01 “Time‘s Arrow, Part 2” / “Gefahr aus dem 19. Jahrhundert, Teil 2”) erstmals begegnet sind. Gleichwohl habe ich mich gefragt, warum sich der Mohawk-Punk scheinbar an Spocks vulkanischen Nackengriff erinnert hat. Beide Aspekte deuten darauf hin, dass Picard tatsächlich die Krux der ganzen Zeitlinien-Thematik zu sein scheint (siehe weiter unten).

Figuren & Dramaturgie

“Watcher” nimmt sich sehr viel Zeit für die verschiedenen Charaktere, wobei dieses Mal ganz eindeutig die Beziehung zwischen Picard und Guinan im Fokus steht. Für weitere Charaktere, wie etwa Elnor oder Soji, wäre dementsprechend wohl auch kein Platz mehr gewesen. Das haben die Autoren und Autorinnen wohl auch so gesehen, weshalb beide Charaktere aktuell auch keine Rolle spielen. Eine Entscheidung mit Weitsicht, wie ich finde, litten die erste Staffel sowie zahlreiche Episoden von “Discovery” in der jüngeren Vergangenheit doch oftmals an der Fülle der einzelnen Figuren und deren – teilweise belanglosen – Story-Arcs.

Trio in L.A.: Seven, Raffi & Rios

Das Pacing der Episode ist indes hervorragend ausbalanciert. Im Fall von Picard und Guinan dominieren die ruhigen Szenen, während Action-Fans sich über eine wilde Auto-Verfolgungsjagd mit Raffi und Seven freuen dürfen. Die machen nämlich die Straßen von L.A. unsicher. Wobei selbst bei diesem eher generischen Handlungsstrang Charme und Witz der Figuren keinesfalls zu kurz kommen. In meinen Augen ist das wirklich gut geschrieben und erinnert nicht von ungefähr an “Star Trek IV: The Voyage Home” und “Future’s End”.

Rios hat da deutlich weniger Screen Time, wenngleich dessen Story-Arc neben dem von Picard wohl die gesellschaftskritischsten Dialogzeilen enthält. Doch dazu später mehr. Dass Rios an einer Stelle in sarkastischer Weise komplett auspackt und dem amüsierten Heimatschutz-Beamten seine wahre Background-Story erzählt, ist wohl seiner Resignation hinsichtlich der Zustände im Jahr 2024 geschuldet. “Temporale Direktive” am A****”, oder was? Nun gut, der Beamte wird Rios ohnehin für verrückt halten, eine Zeitlinien-Disruption ist somit unwahrscheinlich. So ganz logisch – oder auch vorbildlich (Captain der Stargazer!) – fand ich Rios‘ Verhalten hier dennoch nicht.

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Psycho-Duell: Agnes vs. Borg-Königin

Der Story-Arc um Agnes Jurati und die Borg-Königin köchelt zwar weiterhin auf kleiner Flamme, gefällt mir aber dennoch von Folge zu Folge immer besser. Alison Pill und Annie Wersching spielen das wirklich stark. Insbesondere Letztere überzeugt mit jedem weiteren Auftritt immer mehr. Wersching bringt die Facetten der Borg-Königin sehr gut rüber – diese schizophrene Art, das Schwanken zwischen manipulativer Verführung und manischem Befehlston. Und bei Jurati hat man stets den Eindruck, dass sie genau weiß, dass die Queen ihren wunden Punkt gefunden hat – und nun genüsslich in der Wunde bohrt. Diese Erkenntnis ist schonmal eine gute Voraussetzung, um sich gegen die Psycho-Attacken der Borg-Königin zu wehren. Ich glaube aber, dass Agnes das Spiel bald verlieren wird. Auch Commodore Oh wusste schließlich, wie Agnes manipuliert werden kann. Spannend ist dieser Handlungsstrang allemal…

Tomorrow is Yesterday: Picard & Guinan

Im Zentrum der Episode steht zweifelsohne die Suche nach dem “Wächter” – und somit auch die Begegnung Picards mit einer jüngeren Version von Guinan, hier gespielt von der (laut Memory Alpha) 33-jährigen Kanadierin Ito Aghayere. Guinan beschreibt den “Wächter” – oder besser gesagt: die “Wächterin” – als eine von zahlreichen “Aufsehern” (“Supervisor”), die über die gesamte Galaxis verstreut sind und deren Aufgabe darin besteht, das Schicksal “gewisser Individuen” zu beschützen. Wer könnte hier wohl dahinterstecken? Vielleicht sollten wir uns alle noch einmal die Originalserie genauer ansehen…(siehe Abschnitt “Ausblick”).  

Ich finde jedenfalls die Entscheidung, die junge Guinan des 21. Jahrhunderts neu zu besetzen, mutig wie richtig zugleich. Whoopi Goldberg (66) einem digitalen De-aging zu unterziehen, hätte hier wohl auch nicht funktioniert. Mit Ito Aghayere hat man tatsächlich eine Schauspielerin gefunden, die der jungen Whoopi Goldberg durchaus ähnlich sieht und sie nach meinem Dafürhalten auch glaubwürdig “imitiert”. Es liegt auf der Hand, dass Aghayeres Guinan hier auch keine Neuinterpretation sein darf, denn “Picard” ist schließlich kein Reboot.

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Guinan ist und bleibt auch nach über 30 Jahren ein wahres Trek-Mysterium. Wie alt El-Aurianer werden, wissen wir nicht. Welche Kräfte sie haben? Wer außer Q weiß das schon? Guinan lebte jedenfalls schon mindestens seit dem späten 19. Jahrhundert auf der Erde. Warum sie ausgerechnet die Erde ausgewählt hat und wie sie dort hingekommen ist? Keine Ahnung. Wir wissen allerdings, dass sie die Erde zwischenzeitlich wieder verlassen haben muss und ins El-Aurian-System zurückgekehrt ist. Erst als die Borg ihre Heimatwelt Ende des 23. Jahrhunderts assimilierten oder zerstörten, kehrte sie als Flüchtling an Bord der Lakul beziehungsweise der Enterprise-B zur Erde zurück (“Star Trek: Generations”).  

“Watcher” spielt das El-Aurianer/Guinan-Mysterium jedenfalls clever aus, sodass sich der Guinan-Arc meiner Meinung nach überaus stimmig in die Staffelhandlung einfügt. Guinan scheint Picard zwar äußerlich nicht zu erkennen, ihr besonderes Gespür für die Zeit (hier: Af-kelt) sagt ihr aber, dass der Name “Picard” vertrauenswürdig ist. Morgen ist Gestern, das typische Zeitparadox. Das ist wirklich richtig gut geschrieben, weil es super zu Guinan passt und unglaublich viel Spannung und Lust auf den Rest der Staffel erzeugt.

Augenscheinlich ist allerdings, dass sich die junge Guinan hier deutlich emotionaler und unbeherrschter verhält als die ältere Guinan, die wir aus “The Next Generation” kennen. Aber immerhin liegen auch mehr als 300 Jahre zwischen beiden Guinans und warum sollten nicht auch die El-Aurianer charakterliche Entwicklungsprozesse durchlaufen.

Etwas drüber waren nach meinem Geschmack die weißäugigen “Übergangswirte”. Ich denke, “Picard” funktioniert auch sehr gut ohne diesen zusätzlichen Grusel-Boost. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau.

Familiengeschichte: Die Picards in England

Zu Beginn der Episode besuchen Picard und Agnes das im Jahr 2024 komplett leerstehende und völlig heruntergekommene Château Picard. Die Picards hatten dieses nämlich rund 80 Jahre zuvor fluchtartig verlassen, da die Nazis im Jahr 1940 Frankreich besetzten und das Weingut als Kommandostützpunkt beschlagnahmten. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieben die Picards scheinbar für weitere rund vier Jahrhunderte, also bis zirka 2315, in ihrem ehemaligen Refugium in England, ehe Picards Eltern Maurice und Yvette die alte Familientradition in La Barre wiederaufleben ließen.

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© Paramount+ / Amazon Prime

Mit dieser kleinen Anekdote versucht man scheinbar, Picards britischen Akzent sowie dessen vermeintlich englischen Attitüden (“Tea, Earl Grey, hot!”) nachträglich zu erklären. Ich muss zugeben, dass ich diesen Handlungsstrang nicht gebraucht hätte, zumal es mir auch etwas unglaubwürdig erscheint, dass ein solch prachtvolles Anwesen wie das Château Picard (samt Weinbergen) auch noch 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vollkommen verlassen sein könnte. Hat wirklich niemand Verwendung dafür? Nichtsdestotrotz ist es natürlich interessant, mehr aus Picards traditionsreicher Familiengeschichte zu erfahren. Und damit hat sich sodann auch meine Irritation über den Einzug der Picards in “The Star Gazer” verflüchtigt.

Q powerless?

Auch Q (John de Lancie) hat in “Watcher” einen ganz kurzen Auftritt. In dieser Szene trägt er einen Laborantenkittel, der ihn als Mitglied einer Forschungsabteilung ausweist. Bei der besagten “Europa-Mission” handelt es sich vermutlich um eine kurz bevorstehende Jupiter-Mond-Mission. Q beobachtet eine junge Frau beim Lesen eines “Dixon Hill”-Romans und behauptet in einem suggestiven Monolog, die Frau werde kurz vor dem Start der Mission von Ängsten geplagt. Dann merkt Q plötzlich, dass seine Kräfte nicht mehr wirken.  

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© Paramount+ / Amazon Prime

Bei der jungen Frau handelt es sich um Renee Picard (Penelope Mitchell), scheinbar eine entfernte Ahnin von Jean-Luc Picard. Dieser Hinweis ist aus dem Amazon Overlay zu entnehmen (Danke an Christopher Kurtz für diesen Hinweis!).

Damit ist sogleich die nächste Spur in Bezug auf Picards Zeitparadoxon gelegt…

Gesellschaftskommentar

Dämmerung vor dem Sonnenaufgang

“Watcher” geizt gewiss nicht mit zeitgenössischer Kritik. Sogar die sonst so taffe und emotional kontrollierte Guinan bricht angesichts einer selbst-destruktiven, von Hass und sozialer Ungerechtigkeit geprägten Menschheit in Verzweiflung, Resignation und Tränen aus. Ob Guinan hier “out of character” agiert, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich fand ihre Reaktion nicht unpassend. Der Umstand, dass diese Episode ausgestrahlt wird, während in Europa wieder ein Angriffskrieg tobt, unterstreicht derweil den gesellschaftskritischen Unterton von “Watcher”. Zumal dieser auch im Kontext dessen steht, was die Trek-Historie der 2020er-Jahre vorgibt.

Dementsprechend wirkt Picards Versuch, Guinan dazu zu ermutigen, die Menschheit noch nicht aufzugeben und stattdessen noch eine Weile auf der Erde zu bleiben, leider auch etwas deplatziert – zumindest hinsichtlich der optimistischen Vehemenz seines Vortrags. Denn als Geschichtsexperte sollte Picard eigentlich wissen, dass schon zwei Jahre später ein weiterer Weltkrieg ausbrechen wird. Ein Krieg, der Guinan unter Umständen das Leben kosten könnte. Angesichts dieser Tatsache versandet leider auch Picards Optimismus-Rede – zumindest auf mittelfristige Sicht. Gleiches galt aber auch schon für Siskos Feststellung in “Past Tense”, nach den “Bell-Unruhen” sei es wieder aufwärts gegangen.

Nun gut, ich denke, Picards Rede war auf eine Zeitspanne von mehreren Jahrhunderten angelegt. Wenn dem so ist, dann passt das natürlich zur utopischen Botschaft, die “Star Trek” stets vermitteln wollte.

Plädoyer für den Rechtsstaat

Während es sich beim Guinan-Handlungsstrang um eine allgemeine Kritik am Zustand der Menschheit handelt, geht der Story-Arc um Rios, Raffi und Seven sehr dezidiert mit der Einwanderungspolitik der USA ins Gericht – und zwar insbesondere mit der Praxis der zuständigen Behörde (Department of Homeland Security). Vor allem die 2003 gegründete Abteilung “U.S. Immigration and Customs Enforcement’s” (ICE) wird in “Watcher” sehr negativ dargestellt. Hintergrund dieser Storyline dürfte wohl die “Zero Tolerance Policy” des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump gewesen sein. Jedenfalls hat sich seit 2018 eine entsprechende Protestbewegung (Occupy ICE) in den USA herausgebildet. Man kann davon ausgehen, dass mindestens das Drehbuch noch während Trumps Amtszeit entstanden ist und sich das Narrativ der Episode dementsprechend wohl auch gegen Trumps Einwanderungspolitik richtet.

Nun ja, wie ist dieser Gesellschaftskommentar nun einzuordnen? Zunächst einmal habe ich nicht den Eindruck, dass “Watcher” hier ein Plädoyer für gänzlich offene Grenzen beziehungsweise eine ungeregelte Zuwanderung darstellt – also die Aufhebung sämtlicher Immigrationsbestimmungen propagiert, so wie es die äußere Linke in der Regel fordert. Das wäre in meinen Augen eine zu radikale Lesart dieses Handlungsstranges. Gleichwohl wird es sicherlich auch den ein oder anderen Zuschauer geben, der genau das aus der Episode herausliest (oder diese derart interpretieren möchte).

Dem Drehbuch geht es meinem Verständnis nach aber vielmehr darum, auf die Bedeutung der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien – auch in der Einwanderungspolitik – hinzuweisen. Das wird meiner Meinung nach sehr deutlich, wenn man bei diversen Dialoge sehr genau zuhört. Raffi und Seven reden beispielsweise im Gebäude des L.A.P.D. mit einem Mann, der von einer Überführungspraxis ohne “Verhandlung” und ohne “schriftliche Beweise” spricht. Ins gleiche Horn bläst dann auch die anschließende Szene mit Rios, einem anderen Abschiebekandidaten namens Pedro (Oscar Camacho) und dem DHS-Beamten Morris (Leif Gantvoort). Officer Morris will Pedro unter Druck dazu bringen, seinen Ausweisung “freiwillig” zu unterzeichnen. Pedro verweist allerdings darauf, dass ihm ein Rechtsbeistand – und damit ein ordentliches Gerichtsverfahren – zusteht. Ein weiterer kritischer Kommentar ist dann auch der Einsatz des Elektroschockers gegen Rios, der natürlich auf das Problem der Polizeigewalt in den USA anspielt.

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© Paramount+ / Amazon Prime

Was allerdings mit “verschwinden lassen” konkret gemeint ist, bleibt (noch) der Phantasie der Zuschauerschaft überlassen. Sollte hier tatsächlich angedeutet werden, dass den Abgeschobenen auf behördliches Geheiß nach Freiheit, Leib oder sogar nach dem Leben getrachtet werden soll, dann ist das natürlich ein schwerwiegender Vorwurf gegenüber dem DHS, den man auch gut begründen können muss.

Ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich den DHS-Officer doch etwas überzeichnet finde. Das Problem bei solchen Darstellungen besteht darin, dass man hier latent unterstellt, dass quasi alle Beamten dieser Behörde ebenso sadistisch und antidemokratisch veranlagt sind wie Officer Morris. Wobei es solche schwarzen Schafe in den Reihen der Behörden sicherlich gibt, keine Frage. Über die Anzahl kann man derweil nur spekulieren. Leider gibt es zu Morris kein positives Gegenstück, also einen “Good Cop”, der diese generelle Vorverurteilung etwas relativiert. Das muss ich der Episode an dieser Stelle leider auch ankreiden. Mir fehlt da ein Stück weit die Ausgewogenheit.

Als jemand, der nicht in den USA lebt, kann und will ich mir hier kein seriöses Urteil darüber erlauben, ob diese rechtswidrige Abschiebepraxis in den USA, die hier gezeigt wird, den Ausnahme- oder doch den Normalfall darstellt. Ich finde aber die Botschaft der Folge, dass es in einem Rechtsstaat geregelte Verfahren geben muss, welche den Betroffenen auch die faire Chance geben, Rechtsmittel gegen einen Abschiebebescheid einzulegen, absolut richtig und somit auch sehr relevant. Eine solche Botschaft ist übrigens weder “progressiv” noch “konservativ”. Sie ist schlicht eine Selbstverständlichkeit in einem Staat, der sich selbst als liberale Demokratie versteht.

Inszenierung

Regie führte bei “Watcher” erneut Lea Thompson. Das Zwei-Episoden-Prinzip im Regie-Bereich hat sich schon seit der Premierenstaffel bewährt.

An der Inszenierung gibt es, wie schon in der Vorwoche, eigentlich nichts großartig zu kritisieren. Wie gesagt, die Verfolgungsjagd ist vielleicht etwas klischeehaft, wurde aber trotzdem recht originell umgesetzt. Zudem ist es Thompson gelungen, die verschiedenen Handlungsstränge so miteinander zu verbinden, dass eine sehr runde Episode dabei rausgekommen ist. “Watcher” wirkt weder versatzstückartig noch inhaltlich überladen. Mir hat die Episode richtig viel Spaß gemacht – inhaltlich, schauspielerlisch und eben auch inszenatorisch. Die Bilder von L.A. sind toll und ich bin immer wieder beeindruckt davon, wie man Sets wie das Château Picard einerseits erstrahlen lassen kann und es andererseits so umzugestalten vermag, dass es wie eine verlassene Ruine wirkt. Toll!

Ausblick: Wer ist die “Wächterin”?

In den letzten beiden Wochen wurde im Fandom heftig darüber spekuliert, wer denn nun der mysteriöse “Wächter” sein könnte. Guinan war für viele die Favoritin, aber diese Fährte hat sich nun als falsch erwiesen. Also wer bleibt sonst noch übrig?

SPOILER-WARNUNG! Wer absolut unbedarft in die nächste Episode gehen möchte, sollte hier besser nicht aufklappen!

Bewertungsübersicht

Handlung
Dialoge
Charakterentwicklung
Stringenz (Staffelbogen & Kanon)
Spannung
Action & Effekte
Humor
Intellektueller Anspruch

Fazit

Mit "Watcher" nimmt die zweite Staffel von "Star Trek: Picard" richtig Fahrt auf. Die Episode ist ereignisreich, spannend, charaktererforschend und dazu auch noch gesellschaftskritisch. Oder kurz gesagt: "Watcher" hat fast alles, was "Star Trek" ausmacht. Eigentlich fehlen nur die Raumschiffe. Die Episode macht jedenfalls Lust auf die restlichen sechs Folgen der Staffel. So darf es gerne weitergehen!
Deutscher TitelWächter
OriginaltitelWatcher
SeriePicard
Staffel2
Episodennummer4
Produktionsnummer14
RegisseurLea Thompson
DrehbuchJuliana James & Jane Maggs
GastdarstellerIto Aghayere als junge Guinan (2024)
US-Erstausstrahlung24.03. 2022
DE-Erstausstrahlung25.03. 2022
Sternzeit / Missionsdatum2024
Dauer46
Matthias Suzan
Matthias Suzan
Matthias' Leidenschaft für "Star Trek" wurde 1994 mit knapp zehn Jahren durch "The Next Generation" geweckt. TNG und DS9 sind bis heute seine Lieblingsserien. Es sind vor allem die politischen, gesellschaftlichen und menschlichen Themen des Trek-Universums, die ihn faszinieren. Aber auch die vielen, tollen Raumschiffe haben es dem passionierten Modellbauer angetan. Matthias ist seit 2017 Teil der TZN-Redaktion.

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Die Folge war ok. Ich kann zwar nicht ganz in die Euphorie einstimmen bzgl. der neuen Staffel, aber das bisher Gesehene ist, nun ja, ok. Die stärksten Szenen hat überraschenderweise Jurati, obwohl der Charakter in Staffel 1 sehr blass war. Ihr brutaler Infight mit der Queen ist interessant und ein Highlight. Die Queen ist der Antagonist, die Queen ist ernstzunehmen. Seven und Raffi ist so semi-spannend, weil wir wissen, wie es rauskommt. Sie kommen wieder zusammen, sie halten bereits Händchen, die Liebe wird siegen. Romanzen in Trek sind ja sowas von überflüssig [Anm. d. Red.: Ausdrucksweise angepasst, unterschwellige Beleidigungen sind… Weiterlesen »

Ich weiß nicht, ob das so schlüssig ist, dass die Veränderungen der Zeitlinie dazu geführt haben, dass Guinan Picard nicht erkennt. Denn die Veränderungen der Zeitlinie haben ja noch gar nicht stattgefunden; Picard und seine Crew sind ja gerade deswegen in die Vergangenheit gereist, um eben diese Veränderungen zu verhindern.

Was würde passieren, wenn JL nicht erfolgreich ist? Die “negative” Zeitlinie bleibt bestehen. D.h. in dem Moment, wenn die Ursache der negativen Zeitlinie beseitigt ist, müsste Guinan sich wieder an PIC erinnern.

Gute Rezension, die eigentlich alles beleuchtet.
Mir hat diese Folge gut gefallen. An den detailverliebten “Easter-Eggs” sieht man auch, dass die Autoren sich Mühe geben.
Guinan mit neuer Schauspielerin zu zeigen..ja. Wahrscheinlich die Beste Lösung neben CGI und Co. Im Verhalten hat sie mich nicht (ganz) überzeugt. Jemand der hunderte von Jahren alt ist, strahlt sicherlich eine ruhige Gelassenheit aus, wie Whoopi in “Times Arrow”.
Rios sollte aus seiner “Ecke” raus kommen.
Alles in allem jetzt vier Folge, bei denen ich sage: Ja..mein Star Trek!!

Mit "Watcher" nimmt die zweite Staffel von "Star Trek: Picard" richtig Fahrt auf. Die Episode ist ereignisreich, spannend, charaktererforschend und dazu auch noch gesellschaftskritisch. Oder kurz gesagt: "Watcher" hat fast alles, was "Star Trek" ausmacht. Eigentlich fehlen nur die Raumschiffe. Die Episode macht jedenfalls Lust auf die restlichen sechs Folgen der Staffel. So darf es gerne weitergehen! Rezension: Picard 2x04 - "Watcher" / "Wächter"
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