Nachruf zum Tode von Louise Fletcher – Die geborene Antagonistin

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"Star Trek: Deep Space Nine" © Paramount

Louise Fletcher, die Darstellerin von Kai Winn Adami in “Deep Space Nine”, ist gestern im Alter von 88 Jahren in ihrem Haus in Frankreich gestorben. Ein Nachruf.

Heute Morgen vernahm ich betrübt die Nachricht vom Tode Louise Fletchers, also jener Schauspielerin, die in “Star Trek: Deep Space Nine” die Rolle der Winn Adami verkörperte. Fletcher starb gestern friedlich im Schlaf. Im Beisein ihrer Familie. Mit stolzen 88 Jahren. Die muss man erst einmal erreichen!

Über ihre Karriere als Schauspielerin, die verhältnismäßig spät Fahrt aufnahm und nach dem Höhepunkt, ihrem Oscar-Gewinn 1976, leider auch schnell wieder abebbte, ist heute in zahlreichen Medien ausführlich geschrieben worden. Ich will daher nicht allzu viele Worte über ihre Rollen jenseits des “Star Trek”-Universums verlieren.

Von Mildred Ratched zu Winn Adami

Nur so viel: Fletchers bekannteste Rolle war sicherlich die der Mildred Ratched in “Einer flog über das Kuckucksnest” (“One Flew Over the Cuckoo’s Nest”, 1975) an der Seite von Hollywood-Legende Jack Nicholson (85). Diese war auch ursächlich für ihren Oscar-Gewinn im darauffolgenden Jahr in der Kategorie “Beste Hauptdarstellerin”.

Tatsächlich habe ich diesen Filmklassiker erst vor einigen Wochen zum allerersten Mal gesehen. Und ich war enorm überrascht davon, wie sehr sich die Figuren der empathielosen und sadistischen Oberschwester auf der einen und der intriganten bajoranischen Geistlichen auf der anderen Seite doch ähneln. Kein Wunder also, dass man damals im Jahr 1993 die Rolle der zwielichtigen Vedek Winn mit Fletcher besetzte. Ein wahrer Glücksgriff, anders kann man es nicht sagen.

Denn schon mit ihrer allerersten Szene in “In the Hands of the Prophets” (DS9 1×19) setzte Flechtner neue Maßstäbe für alle weiteren “Star Trek”-Antagonisten. Eine ähnlich beeindruckende Einführungsszene hatten vorher eigentlich nur Khan (Ricardo Montalbán) in der Originalserie und die Borg in “The Next Generation”. Und nach ihr vielleicht noch die Borg-Königin (Alice Krige) in “Star Trek: First Contact” (1996). Selbst Marc Alaimos Gul Dukat konnte diesbezüglich in “Emissary” (DS9 1×01) (noch) nicht mit Vedek Winn Schritt halten.

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Die Szene im Klassenraum ist jedenfalls grandios, weil es Fletcher hier gelungen ist, Winns faszinierend manipulative Art mit nur wenigen Dialogzeilen auf den Punkt zu bringen. Dieses geheuchelte Interesse an Mrs. O’Brien und den Schulkindern. Diese perfide Art, mit lächelndem Gesicht und freundlicher Stimmlage gemeine Drohungen zu transportieren. Eine unfassbar gute schauspielerische Präsenz in einer der besten Rededuelle in ganz “Star Trek”!

Diese Folge war in meinen Augen auch definitiv das Highlight der ersten Staffel. Und das lag sowohl an dem guten Drehbuch als auch den beiden sehr dominanten Gastdarstellern – Philip Anglim (Bareil Antos) und eben Louise Fletcher. Wenn man ehrlich ist, dann stahlen die beiden hier sogar Avery Brooks und Co. die Show.

Profilierteste Antagonistin der “Star Trek”-Geschichte

“Star Trek” hatte gewiss viele gute Antagonisten – vor und nach “Deep Space Nine”. Genetisch manipulierte Supermenschen (Khan), imperialistische (Kor) und kaltblütige (Kruge) Klingonen, gefährliche Fanatiker (Sybok), intrigante Verschwörer (Chang, Valeris, Cartwright), verrückte Wissenschaftler (Soran), mörderische Rächer (Nero), manipulative Größenwahnsinnige (Borg Queen), sadistische Spiegelbilder (Intendantin Kira) und böse Klone (Shinzon) … und so weiter und so fort.

Doch erst mit “Deep Space Nine” erkannte “Star Trek” das erzählerische Potenzial, das in regelmäßig wiederkehrenden Antagonisten steckt. Zwar hatte man dies auch schon in “The Next Generation” mit Q (John de Lancie) und Sela (Denise Crosby) versucht, aber eben noch nicht wirklich konsequent umgesetzt. Mit Dukat und Winn sollte sich das aber ändern. Beide DS9-Widersacher waren schon für sich allein eine Wucht, in der finalen Staffel machten sie dann aber sogar gemeinsame Sache, wodurch sie für mich auch zugleich zum ultimativen Antagonisten-Paar wurden.

Doch was macht die Faszination von Winn Adami nun aus? In gewisser Weise kombiniert sie die manipulative Art der Borg Queen mit der Intriganz des fiesesten Romulaners. Obendrauf kommt dann noch Sybok’scher Fanatismus, Sarkasmus à la General Chang sowie abgrundtiefer Neid, verletzter Stolz, eine widerlich herablassende Art und unbändige Machtbesessenheit. Winn verkörperte damals also einen völlig neuen Typus von “Star Trek”-Bösewicht: die ultimative Heuchlerin mit politischen Ambitionen.

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Bei wohl keinem anderen Trek-Schurken liegen Sein und Schein so weit auseinander wie bei Kai Winn. In ihrer verzerrten Selbstwahrnehmung gleicht sie sicherlich Dukat, aber ich finde sie unter dem Strich sogar noch eine ganze Spur selbstgerechter. Hinzu kommt, dass Winn mit völlig anderen Mitteln kämpft als die übrigen Bösewichte des “Star Trek”-Universums. Sie verfügt über keine Schiffe; sie führt keine Faust- oder Phaserkämpfe; sie greift nicht auf irgendwelche Technologien oder ähnliches zurück. Nein, ihr wichtigstes Werkzeug ist die zweifelhafte Fähigkeit, andere mit Worten manipulieren und instrumentalisieren zu können. Intrigen zu spinnen. Und das alles unter Rückgriff auf eine Religion, die sie scheinbar weder verstanden hat noch ernsthaft im Herzen trägt. Für diese Erkenntnis muss man sie nur mit ihrer Vorgängerin Kai Opaka oder mit ihrem Konkurrenten Vedek Bareil vergleichen. Beide sind selbstlose Philanthropen, bei Bareil kommt sogar noch die Weltoffenheit und der Reformwille hinzu. Und wie eigentlich bei allen religiösen Extremisten geht es auch Winn nicht um Spiritualität oder religiöse Lehren. Die betrachtet sie lediglich als Mittel zum Zweck. Ihr wahres Ziel ist politische Macht und die vollständige Kontrolle über Strukturen, Denkweisen und Personen. Das wird vor allem dann deutlich, als sie in “Shakaar” (DS9 3×24) eine Vereinigung von geistlichem (Kai) und weltlichem (Premierminister) Amt anstrebt.

Auch wenn Winn Adami vom Anfang bis zum Ende eine hervorragende Antagonistin war, büßte ihre Figur durch dem Wegfall ihres Konkurrenten Vedek Bareil meiner Ansicht nach doch etwas von ihrer enormen Gravitas ein. Nichtsdestotrotz hatte dieser Charakter so viele verschiedene Facetten zu bieten, dass Winn für mich bis zum heutigen Tag gemeinsam mit Dukat den besten aller “Star Trek”-Widersacher darstellt. Und das ist neben den Verdiensten der jeweiligen Autoren auch und in besonderem Maße auf die Darstellung von Louise Fletcher zurückzuführen. Sie war einfach die geborene Antagonistin. Eine unglaublich talentierte Schauspielerin, vor allem was Sprache und Mimik betrifft.

An dieser Stelle darf aber auch die Leistung von Fletchers Synchronsprecherin, Regina Lemnitz, keinesfalls unerwähnt bleiben. Lemnitz ist es damals gelungen, Fletchers Duktus eins-zu-eins ins Deutsche zu übertragen. Im direkten Vergleich zwischen der englischen und der deutschen Version kann ich jedenfalls keinen Qualitätsunterschied feststellen. Und das ist nun wahrlich keine Selbstverständlichkeit.

Unter den 14 DS9-Episoden, in denen Louise Fletcher mitspielte, ist jedenfalls keine einzige wirklich schwache dabei. Im Gegenteil, die meisten davon gehören in die Top-Liste der Serie.

Auch das deutschsprachige “Star Trek”-Fandom wird Louise Fletcher als großartige Schauspielerin in Erinnerung behalten. Ihre Mitwirkung in “Star Trek: Deep Space Nine” hat Maßstäbe gesetzt. Möge sie in Frieden ruhen.

Estelle Louise Fletcher

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Louise Fletcher als Kai Winn Adami in “Star Trek: Deep Space Nine” © Paramount

* 22. Juli 1934 in Birmingham, Alabama

† 23. September 2022 in Montdurausse, Frankreich

Rolle in “Star Trek”:

Winn Adami

Auftritte in “Star Trek” (insgesamt 14; alle in “Deep Space Nine”, 1993-1999):

  • “In the Hands of the Prophets” (Season 1)
  • “The Circle” (Season 2)
  • “The Siege”
  • “The Collaborator”
  • “Life Support” (Season 3)
  • “Shakaar”
  • “Rapture” (Season 5)
  • “In the Cards”
  • “The Reckoning” (Season 6)
  • “‘Til Death Do Us Part” (Season 7)
  • “Strange Bedfellows”
  • “The Changing Face of Evil”
  • “When It Rains…”
  • “What You Leave Behind”

Auszeichnungen

Oscar und Golden Globe (beide 1976) in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin/Beste Schauspielerin für ihre Rolle als Mildred Ratched in “Einer flog über das Kuckucksnest” (1975)

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Sie hat DS9 auf ihre eigene Weise bereichert. Eine exzellente Schauspielerin in der für sie richtigen Serie.

Ein sehr angemessener Nachruf! Danke dafür!