Beto Ortegas veröffentlicht seine Dokumentation über die Crew der U.S.S. Enterprise. Der Film besteht aus Filmaufnahmen und Interviews, die eine Hilfsmission des Flaggschiffs für Lutani VII zeigen. Der Filmemacher stellt dabei die provokante Frage, inwiefern sich die Sternenflotte von anderen Imperialmächten unterscheidet.
Was meinen wir mit “spoilerfrei”?
Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen dazu, was “spoilerfrei” bedeutet. Damit ihr selbst entscheiden könnt, ob ihr die Rezension vorab lesen möchtet, machen wir hier transparent, was wir darunter verstehen:
- Wir verraten keine wichtigen und unerwarteten Wendungen der Handlung bzw. Informationen über die fiktiven Welt und ihre Figuren.
- Was im Vorfeld durch Vorschauclips und Trailer gezeigt wird, ist kein Spoiler.
- Was im Cold Open (vor dem Vorspann) bzw. im ersten Akt (bei Episoden ohne Cold Open) passiert, ist kein Spoiler.
- Handwerklichen Aspekte (Schauspiel, Drehbuch, Bühnenbild, Soundtrack, Spezialeffekte) sind keine Spoiler, sofern sie nichts Wichtiges über die Handlung verraten.
What is Starfleet?
Nach A Space Adventure Hour ist What is Starfleet? die zweite Episode in dieser Staffel, die deutlich aus dem klassischen Episodenformat ausschert. Der traditionelle Vorspann entfällt, die Episode präsentiert sich als die namensgebende „In-Universe“-Dokumentation und besteht folglich auch ausschließlich aus Bildmaterial, das Ortegas direkt oder durch Freigabe der Sternenflotte erhalten konnte.

Damit ist die Episode ein Pseudepigraphon. Im kanonischen Star Trek-Universum hat es das noch nicht im Umfang einer kompletten Episode gegeben. Gleichwohl sind uns mit Data’s Day und In the Pale Moonlight sehr wohl Episoden bekannt, die aus dem exklusiven Blickwinkel einer Person erzählt werden.
Die Idee, soziale Dynamiken und Machtstrukturen auf einem Raumschiff durch eine journalistische Linse kritisch zu hinterfragen, ist dennoch nicht völlig neu. Ein sehr erfolgreicher Versuch ist z. B. die Episode Final Cut aus der zweiten Staffel von Battlestar Galactica (2003).
Was hat dann Kathryn Lyns und Alan B. McElroys Drehbuch neben dem Spiel mit der Form zu bieten?
Normen und Institutionen
Der ursprüngliche Aufhänger ist durchaus spannend und zeitgemäß: Ein junger Filmemacher hinterfragt Normen und Motivationen einer mächtigen Institution. Der aktuelle globale Aufstieg des autoritären Rechtspopulismus ist auch die Geschichte der Erosion von Normen und das Vertrauen in Institutionen. Das Misstrauen gegenüber großen Akteuren des Staates und auch der Zivilgesellschaft hat es aus Verschwörungserzählungen in den Mainstream geschafft. Da scheint es nur passend, dass Star Trek diese gesellschaftliche Entwicklung aufgreift und reflektiert.
Mehr noch: Es wäre geradezu wünschenswert, wenn Star Trek wieder eine plausible Vision für eine normenorientierte Weltordnung anbieten könnte, die über Platitüden hinausreicht. Ab den späten 90ern tat sich das Franchise leider vor allem damit hervor, die realistische Utopie zynisch zu dekonstruieren (z. B. durch die Einführung von Sektion 31). In der Kurtzman-Ära wurde das Wertefundament weiter von reaktionären Ideen unterwandert, bis häufig nichts weiter als konsequent diverse Castingentscheidungen Star Trek vom Rest der Kulturindustrie trennten.

What is Starfleet? startet durchaus stark. Die Anfangsthese ist provokant, die Inszenierung visuell beeindruckend. Es gelingt anfangs ganz klar, sich von der üblichen Ästhetik von Strange New Worlds abzugrenzen. Der dokumentarische Stil erinnert stark an Ron Moores Battlestar Galactica und ist nach 15 Jahren Abwesenheit von den Fernsehschirmen eine willkommene Abwechslung zum sehr cinematischen Look von Star Trek in Streamingzeiten.
Narrative Unzulänglichkeiten
Wie der Großteil dieser Staffel hadert What is Starfleet? nach einem starken Auftakt mit der souveränen Ausführung. Die Dokumentation bekommt nicht die Chance, echte Ambivalenz beim Betrachter zu erzeugen, weil das Setup der Mission äußerst unüblich und unglaubwürdig ist. Statt echter Spannung und einem ethischen Konflikt mit verschiedenen validen Standpunkten zu konstruieren, zieht sich das Drehbuch darauf zurück, der Sternenflotte geheime und kaum nachvollziehbare bzw. schwer zu rechtfertigende Befehle zu erteilen.

Dieses Setup unterminiert die komplette Prämisse der Folge. Selbstverständlich stellt das Publikum die Motive der Sternenflotte infrage, wenn ihm dies mit dem „erzählerischen Vorschlaghammer“ nahegebracht wird. Gleichzeitig verpufft die Katharsis der Geschichte, weil die fragwürdigen Umstände der Mission völlig untypisch für das fiktive Universum sind. Und auch weil das reale Publikum von Strange New Worlds durch wöchentliche Abenteuer eine andere Perspektive auf die Enterprise und ihre Crew hat als die fiktionalen Zuschauer der „In-Universe“-Dokumentation, läuft die provokante Ausgangsfrage letztlich ins Leere.
Das ist umso bedauerlicher, weil es in der Kontinuität von Strange New Worlds durchaus Anknüpfungspunkte gäbe, um kritische Fragen zu adressieren. Insbesondere im Umgang mit den Gorn dürften erhebliche Zweifel daran angebracht sein, ob Crew und Institution ihren selbst auferlegten Normen wirklich gerecht werden.
Auch die Frage, ob die Sternenflotte am Ende aller Tage nicht doch bloß ein Militär mit dünnem humanistischem Anstrich ist, beantwortet What is Starfleet? nicht. Die vermeintliche Antwort auf What Is Starfleet? ist letztlich reduktionistisch und banal: Ihre Individuen definieren die Organisation, d. h. die Sternenflotte – das sind Pike, Una, Spock und Co.
Durch diese Personalisierung umgeht What Is Starfleet? nicht nur viele praktische Fallstricke bei der Untersuchung, wie die Sternenflotte als Institution tatsächlich in eine liberale politische Ordnung passt, sondern umgeht auch Antworten auf die selbst gestellte Frage, ob es signifikante Unterschiede zu anderen Großmächten gibt.

Gerechtfertigt wird diese letztlich apolitische Reduktion der Sternenflotte auf Individuen durch eine unglaubwürdige Szene, die droht, die vierte Wand zu durchbrechen und Betos Lauterkeit in Zweifel zieht. Damit relativiert What is Starfleet? aber leichtfertig die durchaus wichtigen und relevanten Fragen, die es am Anfang durchaus pointiert aufwirft.
Summe aller Teile
Am Ende bleibt What is Starfleet? die stärkste Episode in einer bislang erstaunlich schwachen Staffel. Wie schon letzte Woche verstärkt What is Starfleet? das Gefühl, dass Strange New Worlds in ein Muster zurückkehrt, das zuletzt Voyager und Enterprise plagte: starke und interessante erste Akte, auf die nur noch dünne und uninspirierte Auflösungen folgten. Ich warte nach wie vor auf eine einzige Episode in dieser Staffel, die auch nur annähernd das Niveau von Ad Astra Per Aspera erreicht.
Mit Rücksicht auf die Leser:innen, die die Episoden noch nicht gesehen haben, bitten wir in den Kommentaren zu diesem Beitrag auf Spoiler zu verzichten. Danke!
Nach den ersten 3 Sekunden habe ich erstmal das alte Intro von ENT des Mirror-Universums angeschaut, weil mich die ersten 3 Sekunden daran erinnert haben und ich mich schon auf eine derartike Folge gefreut hatte, naja…
Vielen Dank für die schöne Rezension. Diese Folge war okay, aber der Großteil der Staffel war zum Fremdschämen schlecht. Ich bin sowas von enttäuscht.