Discovery besucht eine Prä-Warp-Zivilisation auf der Suche nach dem vierten Hinweis.
Was meinen wir mit “spoilerfrei”?
Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen dazu, was “spoilerfrei” bedeutet. Damit ihr selbst entscheiden könnt, ob ihr die Rezension vorab lesen möchtet, machen wir hier transparent, was wir darunter verstehen:
- Wir verraten keine wichtigen und unerwarteten Wendungen der Handlung bzw. Informationen über die fiktiven Welt und ihre Figuren.
- Was im Vorfeld durch Vorschauclips und Trailer gezeigt wird, ist kein Spoiler.
- Was im Cold Open (vor dem Vorspann) bzw. im ersten Akt (bei Episoden ohne Cold Open) passiert, ist kein Spoiler.
- Handwerklichen Aspekte (Schauspiel, Drehbuch, Bühnenbild, Soundtrack, Spezialeffekte) sind keine Spoiler, sofern sie nichts Wichtiges über die Handlung verraten.
Whistlespeak
Mit Hilfe von Kovich findet die Crew einen Planeten, auf dem der vierte Hinweis versteckt sein könnte: Eine trockene Welt, die von Sandstürmen geplagt ist, und auf der einer der fünf Wissenschaftler heimlich Türme zur Wetterkontrolle errichtet hat. Tilly und Burnham beamen sich hinunter und geben sich als MItglieder der Prä-Warp-Kultur aus, die die Bauwerke für heilige Stätten ihrer Götter erachtet, deren Verehrung für Niederschläge sorgt.
Derweil sucht Culber fieberhaft nach einer Erklärung seiner neu erlangten spirituellen Gefühle, bzw. für eine Erklärung deren Ursache.
Uninspirierte Durchschnittskost zur Staffelmitte
“Whistlespeak” ist eine ziemlich unterdurchschnittliche Folge, wie wir sie leider aus den Staffelmitten von “Discovery” gewohnt sind. Mit einem neuerlichen Ausflug ins Grüne, bekommt die Serie endgültig das “Stargate”-Problem: Es gibt nur eine begrenzte Anzahl fremder Welten, für die eine Grünanlage in Toronto glaubhaft als Kulisse einspringen kann.
Der Rest ist eine weitgehend unoriginelle Außenmission zu einer Prä-Warp-Zivilisation. Burnham und Tilly drängen Hals über Kopf (und ohne Not) in ein außerirdisches Ritual, das sie nicht verstehen. So kann das Drehbuch ein paar erwartbare Wendungen offerieren, und die Xenoanthropologin Burnham wie eine blutige Anfängerin dastehen lassen. Auch das Finale und seine Auflösung bestechen freundlich gesagt durch Geradlinigkeit.
Wirklich schade ist, dass der Titel der Episode ein an und für sich spannendes Science-Fiction-Konzept eröffnet. Hier hätte das Potential einer Story im Stile von “Darmok” gelegen. Stattdessen verpufft die Idee nahezu ungenutzt.
Die B-Handlung dreht sich um Culber und seinen Wunsch, jemand möge ihm erklären, warum er seit dem Ausflug nach Trill eine veränderte Wahrnehmung von sich und der Welt hat. A- und B-Handlung stolpern damit auf eine Botschaft zu, die mich mit großem Unbehagen zurücklässt.
Kein Gott der Mintakaner
“Whistlespeak” steht in Tradition von Episoden wie “Sacred Ground” und “Children of The Comet”, die eine Normalisierung von Glaube und Spiritualität in “Star Trek” anstreben. Die Folge zeigt erneut die nach dem Tode Roddenberrys zunehmend beliebige Haltung von “Star Trek” zum Übernatürlichen. Während “The Original Series” und “The Next Generation” ein klar rationales Weltbild für das Universum zeichneten, begann mit “Deep Space Nine” die langsame aber deutliche Abkehr von einer konsequent aufgeklärten Weltsicht innerhalb des Erzählkosmos’.
Nahezu parallel zur metaphysischen Öffnung verlief seit Mitte der 90er übrigens auch die Hinwendung zu Gewaltdarstellungen, dem Monomythos, der Wiederholung immer gleicher Rachenarrative, Nostalgie als Ersatz für originärer Science-Fiction-Ideen und ein Zurückweichen des Sense of Wonder in den “Star Trek”-Serien.
“Whistlespeak” demonstriert für mich, wie austauschbar “Star Trek” mit anderen Genre-Marken geworden ist, die einen vermeintlich progressiven Mainstream bedienen. Diese Stunde Fernsehen kommt ohne jede Ambitionen, scharfe Kanten oder unbequemen Fragestellungen. Sie ist gänzlich ungeeignet, irgendjemand aus dem Zielpublikum zum Nachdenken zu provozieren.
Die Moral aus A- und B-Handlung wird uns auf dem Silbertablet serviert: Als Synthese aus dem Spannungsfeld von irrationalem Glauben und kritisch rationaler Erkenntnis soll der geneigte Zuschauer anerkennen, dass beides einen (gleich-)berechtigten Platz habe – sowohl auf dem Niveau des Individuums als auch gesamtgesellschaftlich.
Das ist eine sehr bequeme Position, die oberflächlich intellektuell progressiv wirkt, aber auf jeden Fall keine:n Zuschauer:in vor den Kopf stoßen wird. “Discovery” macht keinen Unterschied zwischen dem Wert, den ein Studium von Spiritualität in einem historischen, soziokulturellen, anthropologischen, neuropsychologischen oder sonstig kritisch-rationalen Kontext hat, und der Validität des Glaubens als Solchem.
Stattdessen gibt es in der Mitte der Episode eine Szene, in der Culber mit Stamets Hilfe versucht, die Wirkung des zhian’tara wissenschaftlich zu untersuchen. Doch die Technologie des 32. Jahrhunderts findet nicht die kleinste Spur des Rituals in Culbers Gehirn. Damit gehen die Autoren Kenneth Lin und Brandon Schultz bewusst einen Schritt weiter als die “Voyager”-Episode “Sacred Ground”, die dem Publikum buchstäblich in letzter Sekunden so etwas wie ein kritisch-rationales Feigenblatt anbot. Wenn ich das Drehbuch ernst nehmen soll, gibt es nichts im (mit Equipment des 32. Jahrhunderts) beobachtbaren Universum, das Culbers Zustand erklären kann.
Schon heute kann die Wissenschaft neurologische Effekte beobachten, die Praktiken wie Meditation induzieren. Auch wenn “Star Trek” recht stringent metaphysischen Dualismus (Trennung von Geist und Körper) vertritt, so waren Denken und Geist nie einem wissenschaftlichen oder kritisch-rationalen Zugang entzogen. Pulaski konnte physische “Gedankenengramme” identifizieren und selektiv löschen, Bashir die Wechselwirkung von Visionen der Propheten in Siskos Gehirn nachvollziehen.
Es ist also eine ziemlich unwahrscheinliche und alberne Zuspitzung des Drehbuchs, dass das zhian’tara ohne jede messbare Spur an Culbers Körper vorbeigegangen sein soll, nur damit ja kein kritisch rationaler Zugang möglich erscheint. Damit sendet das Drehbuch eine klare Botschaft.
Das Universum muss keinen Sinn ergeben
Neil deGrasse Tyson hat einst treffend formuliert: “Das Universum unterliegt keiner Verpflichtung, für dich Sinn zu ergeben.” Nur weil unsere Sprache erlaubt, die Worte aneinander zu reihen, heißt es nicht, dass jede Wortfolge eine zulässige Frage ist, die eine befriedigende Antwort hat. “Warum riecht die Hoffnung gelb?” ist ähnlich konstruiert wie “Was ist der Sinn des Lebens?”. Beides sind keine zulässigen Fragen. Bestenfalls haben wir es mit Poesie zu tun, im schlechtesten mit einem böswilligen oder ignoranten Versuch, Zuhörenden die schweigende Zustimmung zu absurden metaphysischen Prämissen abzuknöpfen.
Umgekehrt heißt das Fehlen einer Antwort auf eine sinnvolle Frage nicht, dass sie unergründlich ist, und die Antwort uns für immer verschlossen bleiben wird. Kirk formuliert dies in “The Corbomite Maneuver”:
Es gibt aber nichts Unbekanntes, höchstens Dinge, die für uns noch oder vorübergehend unverständlich sind.
Offenbar soll Stamets als “Quotenrationalist” die Fackel für diese Postion hochhalten. So begegnet er Culber mit einer durchaus zugewandten, positiven Einstellung: Schön, dass du gesund bist, warum genießt du nicht einfach den Trip, auf den dich dein Gehirn schickt? Die Episode scheint diese letztlich menschenfreundliche Haltung aber kritisch zu sehen. Es reicht für “Discovery” nicht, dass Stamets das “spirituelle Erwachen” seines Partner toleriert und sich für ihn freut. Es scheint ein persönliches Defizit zu sein, dass Stamets das Gefühl “niemals verstehen wird” – ein Euphemismus dafür, dass er es sich gefälligst unkritisch zu eigen machen solle.
Damit passt “Whistlespeak” perfekt zu einem bedenklichen zeitgenössischen Relativismus, der sich einerseits inklusiv zu Spiritualität positioniert und eines “ausgewogenen” Umgangs damit rühmt, andererseits atheistische und kritisch-rationale Positionen in diesen Fragen regelmäßig als simplistisch zu belächeln versucht. Dabei versäumt man gerne, sich nicht mit den fatalen Konsequenzen der eigenen Haltung auseinander zu setzen.
Warum eine solch unkritischer Umgang mit Irrationalität problematisch ist, kann man überall dort besichtigen, wo sog. “Intelligent Design” parallel zur Evolotionsbiologie gelehrt werden soll. Oder man schaut vor der Haustür, wo die beiden größten Organisationen zur Erbringung menschennaher Arbeit im Lande aus religiösen Gründen eigenes Arbeitsrecht in Anspruch nehmen dürfen, nach dem sie ungestraft die eigenen Belegschaften diskriminieren, wenn diese missliebigen Entscheidungen bei der privater Lebensgestaltung trifft.
Das Drehbuch von “Whistlespeak” scheint die Meinung zu vertreten, dass spirituelle Überzeugungen im öffentlichen Diskurs einer aufgeklärten Gesellschaft auf Augenhöhe zu solchen Erkenntnissen und Standards stehen dürfen oder gar sollen, die Menschen über Generationen rigiden wissenschaftlichen Arbeitens oder intersubjektiven Diskurses errungen haben.
In Wirklichkeit ist eine solch naive Inklusion kritisch zu sehen, die es absichtsvoll vermeidet, wichtige und bedeutsame Unterscheidungen sichtbar zu machen oder gar auszusprechen. Das Credo scheint zu lauten: Was sich gut anfühlt, muss wahr sein. Nicht ohne Grund haben auch vermeintlich harmlose Esoteriker Probleme damit, sich konsequent gegen schädlichen Umtriebe abzugrenzen, z.B. wenn Neo-Nazis mit diesen “Querdenkern” demonstrieren gehen. Dieser Kumbaya-Laissez-faire ist häufig intellektuelle Bequemlichkeit und das Gegenteil von Aufklärung. Sie wird von böswilligen Akteuren zurecht als Vehikel erkannt, das leicht für reaktionäre Zwecke gekapert werden kann.
Es muss eine Unterscheidung möglich sein zwischen einer Bejahung von notwendiger Toleranz, Empathie, Wertschätzung und kritisch rationaler Neugier in Bezug auf Gläubige, Glaubensinhalte, -praktiken und Wirkungsgeschichte einerseits, und der Ablehnung eines gefährlichen nihilistischen intellektuellen Relativismus, der allen Produkten des menschlichen Denkens und resultierenden mataphysischen Überzeugungen den gleichen relevanten normativen Stellenwert einräumen möchte.
Eine Unterscheidung, die “Whistlespeak” nicht möglich zu sein scheint. Und so stolpert “Discovery” wieder einmal harm- und gedankenlos durch ein relevantes gesellschaftliches Thema unserer Zeit, ohne eigene Akzente zu setzen oder der aufklärerischen Tradition von “Star Trek” gerecht zu werden.
Mit Rücksicht auf die Leser:innen, die die Episoden noch nicht gesehen haben, bitten wir in den Kommentaren zu diesem Beitrag auf Spoiler zu verzichten. Danke!
Eigenrlich eine klassische Star Trek folge.. ich hab sie gemocht. Das man es mit der ersten Direktive nicht so genau nimmt ist nu. Wirklich nichts beaonders mehr.
natürlich wird sie bei Flamezone zerissen… ach was hat da hier früher mal Spaß gemacht…
Thema Spiritualität.
Hier bin ich komplett bei euch. Das geht eigentlich absolut gar nicht.
Star Trek war immer Atheistisch und Wissenschaft Positivistisch geprägt.
Ach ja Wokismus und Religion der Hauptgrund, warum ich als Reform Sozialist mit dieser ideologischen Spielart absolut NICHTS anfangen kann. Trotz weltanschaulicher Nähe.
Diese Folge zeigt mein Problem mit den modernen Star Trek und Discovery. Ich halte diese Staffel für die mit Abstand beste Discovery Staffel. Und ganz ehrlich etwas mehr Sorgfalt, was den Canon angeht, keine Mystery Box und etwas weniger TNG sowie das als erste Staffel und Discovery hätte Potenzial. Denn seien wir mal ehrlich, jede Star Trek Serie seit TNG hat eine schwache erste Staffel. Aber das ist nicht die erste, sondern die 5te Staffel. Und leider ist diese Staffel auf dem Niveau einer Durchschnittlichen schwachen ersten Staffel der 90ziger Trek Serien. Das ist ein Problem. Ich schließe mich an… Weiterlesen »