Am vergangenen Mittwoch, den 26. Juni 2019, führten einige ausgewählte Kinos in Deutschland und Österreich einmalig den Dokumentarfilm “What We Left Behind: Looking Back at Star Trek: Deep Space Nine” vor. Auch die TZN-Redaktion hat sich dieses Event selbstverständlich nicht entgehen lassen. Was die DS9-Doku zu bieten hat, erfahrt ihr in unserem Review. Vorsicht Spoiler!
Das Event
In den USA lief der Dokumentarfilm “What We Left Behind: Looking Back at Star Trek: Deep Space Nine” bereits im Mai in einigen ausgewählten Kinos. Am vergangenen Mittwoch, den 26. Juni 2019, führten dann auch einige Kinos in Deutschland und Österreich “What We Left Behind” einmalig vor (wir berichteten). An einigen Spielorten wurde die Dokumentation von bekannten Gesichtern aus der deutschsprachigen “Star Trek”-Fanszene anmoderiert, darunter Autor (u.a. “Es lebe Star Trek”) und Podcaster (“Planet Trek FM“) Björn Sülter in Kiel, Klingonisch-Lehrer Lieven L. Litaer im pfälzischen Kaiserslautern sowie der Übersetzer und Autor (u.a. “Star Trek: Prometheus”) Christian Humberg im rheinhessischen Mainz.
Der Verfasser dieses Artikels war im CineStar Mainz live dabei. Angesichts der hohen Temperaturen an diesem Mittwochabend sowie der Tatsache, dass die Region mit zahlreichen Spielorten (z.B. Offenbach, Frankfurt a.M., Bad Kreuznach, Kaiserslautern, Neustadt a.d.W., Mannheim, Karlsruhe und eben Mainz) viele Alternativen bot, war das Kino am Ende dann doch recht gut besucht.
Positiv zu erwähnen ist an dieser Stelle die sehr informative und vor allem enorm unterhaltsame Anmoderation von Christian Humberg, der dem Publikum zudem für eine kurze Q&A-Runde rund um “Star Trek” zur Verfügung stand. Es wurde herzlich gelacht.
Die Dokumentation
Von der Idee zum Release
“What We Left Behind” ist ein Dokumentarfilm, der ursprünglich bereits für 2018 anlässlich des 25-jährigen Serienjubiläums von “Star Trek: Deep Space Nine” (1993) geplant war. Dass die Doku erst gut ein Jahr später erschienen ist, also zum 20-jährigen Jubiläum des Serienfinals “What We Leave Behind” (1999), liegt auch darin begründet, dass Ira Steven Behr möglichst alle Originalszenen in HD-Qualität vorliegen haben wollte.
Die ersten Planungen der Doku begannen laut Ira Steven Behr bereits zu Beginn dieses Jahrzehnts, so um die Jahre 2012 und 2013. Seine Idee bestand darin, sowohl die Stammbesetzung als auch die wichtigsten wiederkehrenden Gaststars auf der einen und die kreativen Köpfe hinter der Kamera auf der anderen Seite in Form einer großen Reunion zusammenzubringen und ihnen die Frage zu stellen, worin sie ihr ganz persönliches “Deep Space Nine”-Vermächtnis sehen: Was haben wir (der Serienwelt und den Zuschauern) hinterlassen? In der Doku selbst betont Behr, dass es ihm vor allem darum gegangen sei, den Schauspielern zu verdeutlichen, was sie seinerzeit geleistet haben und welche Bedeutung ihre Arbeit an “Deep Space Nine” auch heute noch für ihn persönlich, aber vor allem auch für die Fans da draußen hat.
Im August 2016 wurde die Doku dann während des “Deep Space Nine”-Panels der “Star Trek Las Vegas Convention” von Behr höchstpersönlich offiziell angekündigt. Dank einer enorm erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne auf der Platform Indiegogo war es dann auch möglich, einige Szenen, darunter auch Special Effects-Szenen, in HD-Qualität zu konvertieren und diese Szenen in den Dokumentarfilm zu integrieren.
Der Inhalt
“What We Left Behind: Looking Back at Star Trek: Deep Space Nine” lässt die knapp sieben Serienjahre in durchaus kreativer Weise noch einmal Revue passieren. Die Tonspur des Films ist auf Englisch, für die deutschen Kinos gab es deutsche Untertitel.
Eines vorweg: Die Doku ist keine Dokumentation im klassischen Sinne, eine objektive und emotionslose Betrachtung der Serie findet (zum Glück!) nicht statt. Im Gegenteil: Der Dokumentarfilm ist wirklich sehr persönlich konnotiert. Im Vordergrund steht zweifelsohne Ira Steven Behr (65), der langjährige Executive Producer und Kreativkopf der Serie. Man merkt diesem Mann zu jeder Zeit an, dass DS9 sein Baby ist, dass ihm diese Serie wirklich extrem viel bedeutet. Ich würde fast behaupten, dass Behr die Serie als sein persönliches Lebenswerk betrachtet. Das wird vor allem immer dann deutlich, wenn er durchaus vergrämt feststellt, dass “Deep Space Nine” das “mittlere Kind” der “Star Trek”-Familie der 90er gewesen sei und dementsprechend im Schatten von zunächst “The Next Generation” und später von “Voyager” nicht die Würdigung erhalten habe, die dieser Serie tatsächlich gebührt hätte. Eine Sichtweise, der ich beipflichten muss.
Abgesehen von Behr kommen auch die übrigen Kreativköpfe der Serie zu Wort, namentlich Ronald D. Moore, Robert Hewitt Wolfe, René Echevarria und Hans Beimler, ebenso wie die Serienentwickler Rick Berman und Michael Piller, von dem allerdings nur altes Archivmaterial Verwendung findet, da Piller leider schon 2005 verstorben ist. Ein Schmankerl der Doku ist ganz sicher die Writersroom-Session der oben genannten Autoren (Behr, Moore, Wolfe, Echevarria, Beimler), die in einem Brainstorming die Auftaktepisode für eine fiktive achte Staffel, die 20 Jahre nach dem Ende der Serie spielt, entwerfen und schriftlich auf einem Whiteboard festhalten.
Neben den Autoren und Produzenten werden selbstverständlich auch die Schauspieler interviewt. Abgesehen vom Main Cast bestehend aus Nana Visitor (Kira Nerys), Terry Farrell (Jadzia Dax), Nicole de Boer (Ezri Dax), René Auberjonois (Odo), Colm Meaney (Miles O‘Brien), Alexander Siddig (Julian Bashir), Michael Dorn (Worf), Armin Shimerman (Quark) und Cirroc Lofton (Jake Sisko) sind auch die Gaststars Marc Alaimo (Gul Dukat), Jeffrey Combs (Weyoun, Brunt), Max Grodénchik (Rom), Aron Eisenberg (Nog), Chase Masterson (Leeta) sowie James Darren (Vic Fontaine), J.G. Hertzler und Casey Biggs (Damar) am Start. Serienprotagonist Avery Brooks (Benjamin Sisko) hatte eine Teilnahme an der Doku leider im Vorfeld abgelehnt, da er zu der Serie bereits alles gesagt habe, was zu sagen sei. Dennoch ist natürlich auch Brooks in Form von Archivmaterial Teil der Dokumentation. Nur leider sehen wir ihn nicht in Interaktion mit dem Rest der Schauspielerriege.
Erzähltechnisch springt die Doku von einem Thema zum nächsten. Zu Beginn geht es um die Schwierigkeiten, mit der die Serie anfangs zu kämpfen hatte. Die Idee einer – im Vergleich zu TNG – wesentlich düsteren “Star Trek”-Serie, das eher statische Raumstation-Konzept sowie die oftmals kantigen und stellenweise miteinander im Clinch liegenden Charaktere kamen seinerzeit bei vielen alteingesessenen Trekkies nicht gut an, was viele der von den Schauspielern vorgelesenen Zuschauerbriefe der damaligen Zeit belegen. Besonders herausgestellt wird zudem, wie innovativ DS9 damals war, als man sich vom episodischen Konzept verabschiedete und einen durchgängigen Handlungsbogen einführte. Was heute Standard bei Streaming-Serien ist, war damals ein großes Risiko. Und nicht wenige Verantwortliche bei Paramount prognostizierten DS9 damals den Untergang, was sich in der Retrospektive natürlich als krasses Fehlurteil herausstellen sollte.
Im weiteren Verlauf der Doku geht es um die verschiedenen Charaktere und deren Entwicklung über die sieben Serienstaffeln, die verschiedenen Story-Arcs (Bajor, Religion, Dominion, politische Themen usw.) sowie um die Frage, ob DS9 auch in gesellschaftlichen und politischen Fragen mutig oder gar prophetisch war. Ein Aspekt, der von Behr z.T. indes sehr selbstkritisch betrachtet wird, ist die Frage, ob DS9 auch hinsichtlich der LGBTQ-Thematik progressiv war.
Zwischen den Interviews und den Szenen aus dem Writersroom bekommt der Zuschauer immer wieder digital verbesserte und auf das Breitbildformat zugeschnittene Ausschnitte aus verschiedenen DS9-Episoden gezeigt. Hier sticht vor allem die Weltraumschlacht aus “Sieg oder Niederlage?” (DS9 6×06 “Sacrifice of Angels”) hervor. “Deep Space Nine” war niemals schärfer, farbkräftiger, leuchtender – oder einfach gesagt – beeindruckender als in “What We Left Behind”. Die Serie könnte in dieser Form locker mit zeitgenössischen Produktionen mithalten – tricktechnisch, vor allem aber im Hinblick auf die Kostüme, Sets und Masken.
Eine weitere Besonderheit von “What We Left Behind: Looking Back at Deep Space Nine” ist sicherlich die Tatsache, dass die Doku ihren eigenen Entstehungsprozess ausführlich erklärt und zeigt. An dieser Stelle knüpft “What We Left Behind“ an das Bonusmaterial von “Star Trek: The Next Generation – Remastered” an.
Die gesamte Doku ist eingerahmt in einen Swing Song, der von Jeffrey Combs, Max Grodénchik, Casey Biggs und Armin Shimerman vorgetragen wird. Eine eindeutige Hommage an Vic Fontaines holografische Las Vegas Lounge in der siebten Staffel.
Tops und Flops
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sich die lange Wartezeit auf “What We Left Behind: Looking Back at Star Trek: Deep Space Nine” absolut gelohnt hat. Als jemand, der DS9 in den 90ern sehr intensiv verfolgt hat, kann ich nur sagen, dass ich an mehreren Stellen der Doku Gänsehaut hatte. Die Doku ist Nostalgie pur und hat mich emotional voll abgeholt. Schön ist auch die Würdigung all derjenigen Beteiligten, die bereits verstorben sind, darunter Majel Barrett (Lwaxana Troi), Brock Peters (Joseph Sisko), Cecily Adams (Moogie Ishka #2) oder auch Barry Jenner (Admiral Ross).
Zu den absoluten Tops der Doku zählt ganz sicher der Humor, der sich über die gesamte Dokumentation zieht. “What We Left Behind” geizt ganz sicher nicht mit Selbstironie, was dem Film enorm zugutekommt. Hier sind vor allem Andrew Robinson und die geniale Betrachtung seines Charakters Garak zu nennen sowie dessen Verhältnis zu Dr. Bashir. Mehr sei an dieser Stelle aber nicht verraten. Anschauen!
Aber auch sonst gibt es immer wieder lustige Szenen, die vorherrschenden Stilmittel sind hier – wie bereits erwähnt – Selbstironie und Situationskomik. Sehr lustig sind auch die wütenden Leserzuschriften der damaligen Zeit, die von durchaus amüsierten Schauspielern vorgetragen werden. Hier zeigt sich ganz deutlich: Der Shitstorm ist keine Erfindung des Internets, zu DS9-Zeiten kam dieser eben noch auf Papier per Post.
Ein weiteres Highlight sind zweifelsohne die Darsteller- und Autoreninterviews, die nicht nur sehr informativ, sondern vor allem auch sehr persönlich sind. Zudem ist es schön zu sehen, wie gut die Darsteller auch heute noch miteinander harmonieren. Die digital überarbeiteten Szenen sind wahrlich eine Pracht und man bekommt auch spannende Einblicke in die Entstehungsprozesse einer Science-Fiction-Serie.
Und hier kommen wir auch schon zu den Kritikpunkten. Etwas enttäuschend fand ich die doch recht überschaubare Anzahl an Behind the Scenes-Filmmaterial. Man bekommt zwar einiges erzählt, z.B. über die Qualität des Caterings, den Make-up-Prozess der Schauspieler oder auch über die enge Vater-Sohn-Beziehung zwischen Avery Brooks und seinem Seriensohn Cirroc Lofton. Archivmaterial, wie etwa Outtakes oder Filmmaterial aus den Drehpausen, sind aber leider Mangelware. Es gibt diese Szenen, aber ich hätte gerne noch viel mehr davon gesehen.
Auch im Hinblick auf die technische Umsetzung der Serie (Spezialeffekte, Kulissenbau usw.) hätte ich mir doch weitaus mehr Infos gewünscht. Storyboards, Kostümdesign, Außendrehorte – all das hätte ich gerne in der Doku gesehen. Zudem hätte ich mir auch noch mehr digital bearbeitete Szenen/Effekte gewünscht, wenngleich schon einige vorhanden sind. Natürlich gibt es diesbezüglich Budget-Grenzen.
Ein absoluter Frevel war für mich die Tatsache, dass das Thema “Filmmusik” nahezu komplett ausgespart worden ist. Ähnlich wie im Serienfinale “What We Leave Behind” hat man sich erneut viel zu sehr auf die Jazz/Swing-Musik von Vic Fontaine versteift, anstatt auch mal die vielen anderen musikalischen Stücke in der Serie zu würdigen. Zuvorderst kommt mir hier das wunderschöne Main Theme von Dennis McCarthy in den Sinn, das immerhin in zwei verschiedenen Versionen Verwendung fand. Dieses hört man nur am Ende in einer Art Rockversion. Schade, hier wäre z.B. ein neu aufgenommenes, “cineastisches” Orchester-Arrangement grandios gewesen. Aber man kann eben nicht alles haben.
Negativ aufgefallen ist mir an einigen Stellen der Untertitel, der teils im Fandom unübliche Abkürzungen (“DNJ” für “Das nächste Jahrhundert” statt “TNG” für “The Next Generation”) und falsche Übersetzungen (“Abschnitt 31” statt “Sektion 31”) verwendet hat.
Was die fiktive achte Staffel angeht, muss ich gestehen, dass mich diese Storyline nicht wirklich überzeugen konnte, sodass ich hoffe, dass eine solche Idee niemals realisiert werden wird. Aber das ist natürlich Geschmackssache, manch einer wird diese Fortsetzung womöglich genial finden.
Unter dem Strich bleibt allerdings festzuhalten, dass ein Dokumentarfilm nun einmal hinsichtlich Budget und Laufzeit begrenzt ist, sodass es absolut logisch ist, dass man nicht alle Aspekte der Serie gleichermaßen beleuchten kann. Das wird im Abspann in einem Gespräch zwischen Ira Steven Behr und Nana Visitor auch noch einmal sehr deutlich betont.
Bewertung
Für “Deep Space Nine”-Fans ist “What We Left Behind: Looking Back at Star Trek: Deep Space Nine” ein absolutes Muss! Das lange Warten hat sich mehr als gelohnt, denn Ira Steven Behr und David Zappone haben wirklich ein großartiges Stück produziert, das mit viel Emotionalität, Humor und Inhalt punkten kann. Wer die Doku nicht im Kino sehen konnte, sollte sich die DVD/Blu-ray unbedingt kaufen, sobald diese verfügbar ist.
Infos zur Dokumentation
Titel: | What We Left Behind – Looking Back at Star Trek: Deep Space Nine |
Ausführende Produzenten/Regie: | Ira Steven Behr & David Zappone |
Weitere Produzenten: | Joseph Kornbrodt & Kai de Mello-Folsom & Luke Snailham |
Erscheinungsdatum USA: | 13. Mai 2019 |
Erscheinungsdatum Deutschland/Österreich: | 26. Juni 2019 |
Laufzeit: | ca. 135 Minuten |