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StartPicardPicard - Season 3Zweitrezension: "Star Trek: Picard" 3x05 - "Wechselbälger"

Zweitrezension: “Star Trek: Picard” 3×05 – “Wechselbälger”

In Folge 5 der dritten Staffel kommt es zu einem emotionalen Wiedersehen. Außerdem sorgen die Wechselbälger erneut für Ärger. Lest hier unsere zweite SPOILER-Rezension.

Transparenzhinweis: Der Autor dieser Rezension hat bisher noch keine Screener der verbleibenden fünf Staffel-Episoden gesehen und verfügt demnach über keine zusätzlichen Plot-Kenntnisse.

Handlung

Der Titan ist die Flucht aus dem Ryton-System gelungen, doch bevor das Schiff die Rückreise zur Erde antreten kann, sind Reparaturen erforderlich.

Nachdem Captain Riker (Jonathan Frakes) das Kommando an Captain Shaw (Todd Stashwick) zurückgegeben hat, drohen ihm und Admiral Picard (Patrick Stewart) nun eine Anklage durch die Justiz der Sternenflotte. Und tatsächlich ist die U.S.S. Intrepid bereits auf dem Weg, um eine entsprechende Untersuchung einzuleiten.

Nach ihrer Ankunft schickt die Intrepid ein Sicherheitsteam auf die Titan, das von keiner Geringeren als Commander Ro Laren (Michelle Forbes) kommandiert wird. Also von jener Bajoranerin, die vor 30 Jahren Protegé von Picard war, dann aber zum Maquis überlief. Picard konnte ihr diesen Verrat seither nicht verzeihen. Und so kommt es zu einem emotionalen Wiedersehen, das zunächst in einem aggressiven Wortgefecht mündet. Doch im weiteren Verlauf gelingt es beiden, ihre einst so vertrauensvollen Beziehung wiederzubeleben.

Commander Ro arbeitet mittlerweile für den Geheimdienst der Sternenflotten, wo sie Worfs Kontaktperson ist. Sie berichtet Picard von einer gefährlichen Verschwörung innerhalb der Sternenflotte. Diese ist scheinbar von Wechselbälgern unterwandert worden, darunter auch die Intrepid. Mit einer letzten heldenhaften Tat ermöglicht Ro der Titan am Ende die Flucht. Doch das Schiff wurde bereits von weiteren Wechselbälgern infiltriert.

Dr. Crusher (Gates McFadden) findet durch eine Autopsie heraus, dass die Wechselbälger eine Art Evolution durchlaufen haben, die sie zu noch besseren Solids-Imitatoren gemacht hat. Alle bisherigen Sicherheitsvorkehrungen, wie Scans und Bluttests, sind folglich wirkungslos.

Aber auch mit Jack Crusher (Ed Speleers) gehen seltensame Dinge vor sich. Er wird nicht nur von gewaltvollen Visionen geplagt, sondern entwickelt auch übermenschliche Kräfte, mit denen es ihm gelingt, vier Wechselbälger unschädlich zu machen.

Unterdessen führen Worf (Michel Dorn) und Raffi (Michelle Hurd) im District Six auf M’talas Prime einen waghalsigen Plan aus, um Krinn (Kirk Acevedo), dem führenden Kopf des V’Lashi-Verbrechersyndikats, wichtige Informationen über Daystrom Station zu entlocken.   

Drehbuch & Dramaturgie

Cindy Appel und Chris Derrick haben das Drehbuch für diese Folge verfasst, das im englischen Original den sehr passenden Titel “Imposters” trägt. Leider ist den deutschen Übersetzern abermals die Mehrdimensionalität dieses Titels entgangen. Die Bezeichnung “Betrüger” bezieht sich nämlich nicht nur auf die “Wechselbälger” an Bord der Titan und Intrepid, sondern auch auf Ro Laren (A-Handlung), auf Jack Crusher (B-Handlung) und auf Worf (C-Handlung). “Betrüger” oder “Schwindler” wäre folglich der griffigere deutsche Episodentitel gewesen, weil sich darin das zentrale Erzählmotiv widerspiegelt, an dem sich die drei Handlungsstränge der Episode entfalten.

Das Drehbuch selbst zeichnet sich durch einen adäquaten Mix aus Spannung, Drama und Action aus. Es weist aber zugleich auch wieder die für “Picard” so typischen Schwachstellen auf. Dazu zählen teils konstruiert wirkende Kontexte und Wendepunkte sowie Qualitätsschwankungen hinsichtlich der Dialoge. Während die positiven Aspekte innerhalb der A-Story (Picard/Ro) überwiegen, wandelt vor allem die C-Handlung auf M’talas Prime leider wieder auf einem ganz schmalen Grat zwischen ‘uninspiriert’ und ‘klischeehaft’. Insgesamt bringt “Imposters” die Staffelhandlung nur wenig voran.

Wie so oft hängt die Bewertung der Episode als Ganzes davon ab, ob man beim Anschauen einen primär emotionalen oder doch eher einen kritisch-rationalen Zugang wählt. Da ich (leider) schon gespoilert war bezüglich der Rückkehr von Ro Laren, ist bei mir Letzteres der Fall gewesen. Ich kann aber jeden Hardcore-Trekkie verstehen, der ob des emotionalen Comebacks von Michelle Forbes nach fast 30 Jahren zu einer Bestwertung tendiert.

Nur habe ich leider auch mit der A-Handlung das ein oder andere Problem, allen voran was diverse Charakterzeichnungen und deren Handlungsmotive betrifft. Dazu aber mehr im Abschnitt “Charaktere”.

Hinsichtlich der Dramaturgie hätte ich mir deutlich mehr Zeit für die Aufarbeitung von Picards und Ros Beziehungsbruch gewünscht. Die Szenen in der Beobachtungslounge und im Holodeck sind zwar größtenteils gut geschrieben, beide sitzen aber doch etwas zu sehr auf glühenden Kohlen. Das hohe Tempo ist gewiss der Dringlichkeit der Lage geschuldet, nimmt der Versöhnung nach meinem Dafürhalten aber auch etwas von ihrer Glaubwürdigkeit. An dieser Stelle ist zweifelsohne meine hohe Erwartungshaltung mit der tatsächlichen Umsetzung kollidiert. Unter diesem Aspekt sind auch alle folgenden Ausführungen zu verstehen.

Der Kontext dieser Reunion wirkt auf mich leicht konstruiert. Terry Matalas hatte scheinbar die Idee eines Comebacks, so ganz organisch fügt sich Ros Rückkehr hier meiner Ansicht nach aber nicht ein. Angesichts von Ros Vita hätte ich hier doch etwas Spektakuläreres erwartet. Dass man nun ihren Werdegang vor “Fähnrich Ro” (TNG 5×03) einfach nur wiederholt, finde ich ehrlicherweise etwas enttäuschend. Mein Gefühl sagt mir allerdings, dass Budgetrestriktionen (Bottle show) dafür verantwortlich waren, dass hier keine umfassendere Story erzählt werden konnte. In Staffel 1 (z.B. als Fenris Ranger) hätte das Comeback aber irgendwie besser hineingepasst.

Wenig überzeugend finde ich auch Ros Heldentod am Ende der Episode. Mal abgesehen davon, dass mir diese Form von Opfermentalität und Heroismus in jüngster Vergangenheit einfach viel zu oft in den Mittelpunkt gestellt wird (siehe u.a. Pike und Hemmer), ist Ros Selbstopfer am Ende eben auch Hollywood-Klischee pur. Auch sie muss hier gleich wieder den Hugh machen, obwohl ziemlich offensichtlich ist, dass man die Figur im weiteren Staffelverlauf vielleicht noch gewinnbringender hätte einsetzen können. Allen voran unter dem Aspekt, auch andere spannende Charakterdynamiken aus “Star Trek: The Next Generation” (Ro/Riker, Ro/La Forge, Ro/Troi) wiederaufleben zu lassen. Mich hat Ros Tod daher nur bedingt bewegt, ebenso wenig wie der von Hugh in der ersten Staffel. Und das liegt meiner Meinung nach lediglich daran, dass alles irgendwie viel zu hastig erzählt wird. An den Charakteren selbst liegt es definitiv nicht.

Eine gute Idee des Drehbuchs ist wiederum die angedeutete Parallele zwischen den beiden Picard-Handlungsbögen. Da wäre einerseits Picards Vater-Sohn-Beziehung mit Jack und andererseits seine Förderer-Schützling-Beziehung mit Ro Laren. Die tatsächliche Umsetzung dieses Parallelismus schöpft das ihr innewohnende Potential dann aber leider nicht aus, da der Dialog zwischen Picard und Jack einfach zu kurz ausfällt und auch zu oberflächlich geschrieben ist. Das Gewicht liegt dann doch zu sehr auf der Picard-Ro-Beziehung. Hier wurde also eine Chance vertan, dem dieswöchigen Picard-Thema mit einem klug ausgearbeiteten Parallelismus noch mehr Tiefe und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Schade.

Die B-Handlung um Jack und die Wechselbälger an Bord der Titan verläuft leider auch nur auf bereits erkundeten Pfaden. Mag ja sein, dass die Wechselbälger jetzt noch gefährlicher und noch böser sind als zu Zeiten von “Deep Space Nine”. Aber bisher hat mich das halbgare Aufwärmen dieser mehr als 20 Jahre alten “Star Trek”-Erzählung nicht so recht abholen können. Auch hier fehlt mir einerseits das innovative Element; und andererseits auch der Bezug zu TNG.

Der absolute Tiefpunkt der Episode ist dann leider die C-Handlung im District Six, die in meinen Augen einem Offenbarungseid der Autoren sehr nahe kommt. Wie oft noch will uns das aktuelle “Star Trek” irgendwelche klischeehaften Crime Lords präsentieren, die an den ewiggleichen finsteren Orten herumlungern, dieselben Attitüden an den Tag legen und platte Gangsterphrasen dreschen?

Krinn ist jedenfalls so dermaßen überzeichnet, dass es schon wehtut. Weitere Nadelstiche sind dann Raffis übliches “Ich bin so wütend”-Gesäusel und der dümmliche Plan mit Worf, der weder glaubwürdig ist noch zu einem überraschenden Twist führt. On top gibt’s dann auch noch ein visuelles Zitat aus “Batman Begins” von 2005 (Batman im Containerhafen). Ein weiterer Beleg für die Ideenlosigkeit dieses Story-Arcs. Unter dem Strich ist der C-Teil ein Rückfall in schlimme Muster, die man vor allem noch aus Season 1 kennt.

Kurz zusammengefasst: Licht und Schatten halten sich insgesamt mal wieder die Waage, was das Drehbuch angeht.

Charaktere

Picard & Ro Laren

Dramaturgischer Fixpunkt der Episode ist das Wiedersehen von Picard und Ro Laren. Also jener Frau, der Picard vor über 30 Jahren die berühmtberüchtigte ‘zweite Chance’ gab. Und die für ihn zu einer seiner bittersten persönlichen Enttäuschungen wurde. Denn bekanntlich wechselte Ro auf einer Undercover-Mission in den Reihen des Maquis die Seiten und wart seither nicht mehr gesehen. Picard nahm Ros Verrat seinerzeit mit steinerner Miene auf, die er auch 31 Jahre später noch immer im Gesicht trägt.

Und genau hier fangen für mich die ersten Glaubwürdigkeitsprobleme an. Einerseits fällt es mir schwer zu glauben, dass Picard in all den Jahren und ob seiner hohen Position in der Sternenflotte nie erfahren haben soll, dass Ro sich schon vor vielen Jahren freiwillig gestellt hat und zu einer weiteren Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Selbst in seiner inaktiven Zeit zwischen 2385 und 2399 dürfte er sicherlich noch Kontakte zur Sternenflotten-Justiz gehabt haben. Ich erinnere an dieser Stelle an Phillipa Louvois aus “Wem gehört Data?” (TNG 2×09).

Anderseits wird mir Jean-Luc Picard in “Star Trek: Picard” auch viel zu oft als störrischer, enorm nachtragender, teils zynischer und sogar unreflektierter alter Grantler charakterisiert, was er nach meinem Dafürhalten in TNG so nie war. Seit Ros Seitenwechsel sind immerhin 31 Jahre vergangen, in denen viel passiert ist. Auch Picard dürfte es demnach nicht entgangen sein, dass der Maquis mit seiner Einschätzung der Cardassianer am Ende Recht hatte. Immerhin verübten die Cardassianer zunächst zahlreiche kleinere Angriffe auf die Föderationskolonisten in der DMZ, umgingen das allgemeine Waffenembargo und führten wenige Jahre später gemeinsam mit dem Dominion regelrechte Massaker an Widerstandskämpfern und Zivilisten durch. Am Ende stürzten sie den gesamten Quadranten in den blutigsten Krieg aller Zeiten. Das Wording “Sie sind zum Feind übergelaufen” ist hier also ebenso unreflektiert wie deplatziert. Bitte nicht falsch verstehen: Terroristen bleiben Terroristen und Verrat bleibt Verrat. Und dennoch haben die Geschehnisse in “Deep Space Nine” Ros Seitenwechsel auch wieder ein wenig relativiert.

Überdies hatte Picard auch damals schon erkannt, dass der kühle Utilitarismus, auf dem der Vertrag von 2367 beruhte, mit moralischen Implikationen verbunden war, die es zu berücksichtigen gilt (TNG 7×20 “Am Ende der Reise”). Picards seit 2370 nahezu ungebrochener Zorn überzeugt mich daher nicht. Zumal ich mir nach erneutem Studium seines Gesichtsausdrucks in besagter Episode “Die Rückkehr von Ro Laren” (TNG 7×24 “Preemptive Strike”) auch nicht mehr sicher bin, ob ich hier wirklich Wut oder vielleicht doch nur Schockstarre sehe.   

Andererseits finde ich es auch nicht besonders glaubwürdig, dass sich Ro nach der Zerschlagung ihrer neuen Maquis-Familie lieber in ein Föderationsgefängnis begeben haben soll, anstatt auf ihren Heimatplaneten Bajor zurückzukehren. Es sei denn, Bajor ist mittlerweile Föderationsmitglied und ein Gerichtsverfahren wäre demnach so oder so unausweichlich gewesen. Von daher: geschenkt.

Das Versöhnungsgespräch, das auf dem Holodeck stattfindet, hat gewiss viele schöne Facetten und Details. Und es ist natürlich hervorragend gespielt, sowohl von Patrick Stewart als auch von Michelle Forbes. Und dennoch habe ich den Eindruck, dass es noch weitaus bewegender und tiefgründiger hätte geschrieben werden können, wenn die beiden Autoren ihre Dialoge noch bewusster sowohl mit “Die Rückkehr von Ro Laren” als auch mit “Die Pattsituation” verzahnt hätten. Denn statt die Aspekte ‘Familie’ und ‘Vaterfigur’ noch dezidierter ins Zentrum der Picard-Ro-Aussprache zu stellen, stehen hier vielmehr Dinge wie Verrat, Moral, Pflichterfüllung, Erwartungen und Ehre im Fokus.

So wirft Ro Picard vor, er würde Moral mit Pflicht gleichsetzen und die Sternenflotte in diesem Kontext idealisieren. Dass diese Unterstellung Nonsense ist, belegen zahlreiche Folgen, in denen sich Picard an seinem moralischen Kompass orientiert und der Admiralität der Sternenflotte die Stirn bietet. Leider bleibt Picard hier abermals passiv, so dass es für mich so aussieht, als würde ihn dieser unberechtigte Vorwurf sogar tangieren.

Christopher hat in unserem Podcast “On Screen” darauf hingewiesen, dass es hier womöglich auch um die Frage gehen könnte, inwiefern Picard für sich in Anspruch nimmt, die moralischen Standards, die er der ‘Pflicht’ zuschreibt, auch für andere zu definieren. Demnach könnte Ro ihren Vorwurf hier auch überspitzt formuliert haben. Das ist ein spannender Blickwinkel und ein berechtigter Einwand. Allerdings spiegelt sich das meiner Ansicht nach nicht im gezeigten Dialog wider. Denn dann hätte Ros Vorwurf auch anders formuliert werden müssen.

Die Krux liegt aber wohl darin, wie man “Die Rückkehr von Ro Laren” interpretiert. Und die beiden Autoren von “Imposters” haben diese Folge wohl komplett anders gelesen als ich. Denn meiner Einschätzung nach ist Ro damals nicht deshalb zum Maquis übergelaufen, weil sie es in diesem Moment für moralisch geboten sah. Das kam erst an zweiter Stelle. Ich habe die Episode eher so verstanden, dass sie dort etwas gefunden hat, was Picard und die Sternenflotte ihr niemals geben konnten: eine Familie.

Besonders deutlich wird dies an der Figur des Macias (John Franklyn-Robbins), der in dieser Folge als Gegenpart zu Picard aufgebaut wird. In der Tat ist “Die Rückkehr von Ro Laren” für mich eine der am besten geschriebenen Folgen der gesamten Serie. Denn dieser Episode gelingt etwas, was “Picard” meiner Ansicht nach nur sehr selten schafft: Jean-Luc Picard zu dekonstruieren, ohne ihn zugleich auch zu demontieren.

Zu Beginn dieser TNG-Episode wird noch einmal herausgestellt, dass Picard für Ro zu einer Art ‘Vaterersatz’ geworden ist. Im Verlauf von “Die Rückkehr von Ro Laren” wird dann aber deutlich, dass Picard eben nicht der wahre Ersatzvater für Ro ist, sondern diese Rolle vielmehr Macias vom Maquis zukommt. Und das aus zwei Gründen: Erstens erinnert Macias Ro an ihren Vater, der von den Cardassianern getötet wurde, als sie noch ein Kind war. Zweitens kann er ihr die emotionale Wärme geben, die Picard Ro aufgrund seines Charakters und auch aufgrund seiner Stellung als ihr kommandierender Offizier niemals geben kann. Gleiches gilt auch für die von etlichen Regeln geprägte Sternenflotte, die hier gegen den weniger formell organisierten Maquis den Kürzeren zieht.

“Die Rückkehr von Ro Laren” dekonstruiert folglich die Vaterfigur Jean-Luc Picard, ohne ihm zugleich irgendwelche negativen Eigenschaften zuzuschreiben, wie etwa ein gekränktes Ego oder überzogene Erwartungen an Ro. Picard ist nun einmal der Captain und das Rollenmodell eines perfekten Sternenflotten-Offiziers. Was ihm fehlt, das ist die natürliche Herzlichkeit eines Macias sowie dessen Ähnlichkeit mit Ros Vater. Das ist nicht Picards Schuld, aber es ist hier nun einmal das alles entscheidende Kriterium: Macias ist der bessere Ersatzvater für Ro – auch deshalb, weil beide eine ähnliche Lebensgeschichte haben.

Folglich stellt sich mir die Frage, ob “Imposters” überhaupt von der korrekten Prämisse ausgeht. Ging es bei Ros Verrat wirklich um Moral und den von Ro empfundenen Druck, Picards Erwartungen nicht gerecht werden zu können? Das will “Imposters” meinem Eindruck nach ausdrücken. Ich sehe das aber etwas anders. Es ging ihr primär um fehlende Nestwärme als Resultat eines erlittenen Kindheitstraumas.

Und als Macias dann auch noch in Ros Armen stirbt, ringt er ihr ein Versprechen ab, das sie zusätzlich zu ihrem Wunsch nach einem familiären Umfeld auch noch in eine Loyalitätszwickmühle manövriert: Sie muss sich zwischen ihren beiden Ersatzvätern entscheiden, denen sie sich allerdings beiden verpflichtet fühlt: Picard und Macias. Und das ist für Ro wahrlich ein No-Win-Szenario, aus dem sie nicht herauskommt, ohne einen von beiden zu verraten. Einfach ganz toll geschrieben!

Dieses Dilemma wird in “Imposters” zwar durchaus angeschnitten, nämlich als Ro beklagt, dass Picards Zuneigung stets an Bedingungen geknüpft war. Allerdings versäumen es die Autoren hier, nochmals explizit auf diese Loyalitätszwickmühle einzugehen. Warum erzählt Ro Picard hier nichts von Macias? Denn wenn man auch noch bedenkt, dass genau diese Themen (‘Picard als Vaterfigur’ bzw. ‘Sternenflotte als Familienersatz’) zentrale Motive der vorangegangenen Episode waren, dann erschließt sich mir nicht, warum “Imposters” nicht direkt daran anknüpft. Vielmehr bleiben Ros damaligen Motive und Gefühlsregungen nur nebensächlich, weil man den Fokus stattdessen wieder einmal auf die Sternenflotte und Picards gekränktes Ego lenkt. Wäre Ro stattdessen nochmal auf ihre traumatische Lebensgeschichte eingegangen, wäre das Gespräch noch viel glaubwürdiger und emotionaler ausgefallen.

Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Aber für mich erreicht “Imposters” hier leider nicht das hohe erzählerische Niveau, das Naren Shankar (Story) und René Echevarria (Drehbuch) mit “Die Rückkehr von Ro Laren” erreicht haben. Das heißt keinesfalls, dass Ro Larens Rückkehr in “Picard” misslungen wäre. So ist es gewiss nicht. Aber mit etwas mehr Kanon-Kenntnissen, einer besseren Absprache im Writer’s Room und mit deutlich mehr Screen Time hätte ein noch höheres Erzähl- und Drama-Niveau erreicht werden können.

In meinen Augen ist die Prämisse des Picard-Ro-Konflikts hier nur in Teilen erfasst worden.

Riker, Seven und Shaw

Captain Riker läuft in dieser Episode nur auf Sparflamme, was etwas schade ist, da auch Riker eine durchaus ambivalente Beziehung zu Ro hatte. Allerdings gefällt mir, dass Riker hier – ebenso wie in “Die Rückkehr von Ro Laren” – als deren Fürsprecher auftritt und bei Picard um Nachsicht bittet. Das passt!

Seven hat dieses Mal auch nur wenige Szenen, die allerdings nicht der Rede wert sind. Allerdings zeigt sich auch hier, dass ihre Loyalität nicht Shaw gilt, sondern Picard und Riker. Und das ist so offensichtlich, dass ich mich schon wundere, warum Shaw ihre Suspendierung wieder aufgehoben hat.

Überhaupt nicht gefällt mir indes, in welche Richtung sich Shaw entwickelt. Diese Figur macht stets das, was das Drehbuch von ihm verlangt. Sicher, er ist witzig und bringt ein instabiles Element in eine kritische Situation, um an dieser Stelle mal Captain Picard zu zitieren (“Star Trek: First Contact”). Ich finde ihn als Raumschiffkommandanten aber einfach nur unglaubwürdig.

Beverly & Jack Crusher

Dr. Crusher darf in dieser Episode mal wieder ihr medizinisches Können unter Beweis stellen, wobei das Sezieren einer Wechselbalg-Leiche wohl auch nicht unbedingt nobelpreisverdächtig ist. Die Figur tritt in den letzten zwei Folgen doch etwas auf der Stelle, sodass ich mich frage, wann da endlich noch was kommt. Immerhin hat Gates McFadden den besten Crusher-Arc aller Zeiten angekündigt. Davon ist bisher aber noch nicht allzu viel zu sehen gewesen.

Charakterentwicklung haben wir hingegen bei Jack, der seltsame Visionen hat, in denen er Crewmitglieder tötet und in Richtung einer mysteriösen Tür gezogen wird. Seltsam sind auch die Tentakel, die ihn und seine Opfer immer wieder umgeben. Hier darf man konstatieren: Das Mysterium bleibt spannend. Jack weiß scheinbar nichts von seiner Herkunft beziehungsweise Mission, aber es wird immer deutlicher, dass er für die Wechselbälger von essentieller Bedeutung zu sein scheint. Ob er nun selbst ein Wechselbalg-Mutant, ein Pah-Geist (rote Augen) oder vielleicht doch ein Über-Synth ist, wird man sehen.

Überaus unglücklich geschrieben ist indes sein Dialog mit Picard, in welchem ihn sein Vater zu einer Karriere in der Sternenflotte animieren möchte. Die Intention eines Parallelismus mit Ro Laren liegt auf der Hand, ist an dieser aber einfach schlecht umsetzt worden. Picards Lobdudelei auf die Sternenflotte wirkt hier einfach nur deplatziert.

Worf & Raffi

Vor zwei Wochen war dieses Zweiergespann noch mein Episoden-Highlight, mittlerweile sind aber schon die ersten Abnutzungserscheinungen erkennbar. Worf als klingonischer Mister Miyagi aufzubauen, der mit Weisheiten nur so um sich wirft und zwischendurch auch mal meditiert, ist sicherlich unterhaltsam. Mehr ist es aber auch nicht. Emotional fällt dann aber wenigstens das Wiedersehen mit Picard und Riker aus. Da gebe ich gerne zu: Gänsehaut pur, auch wenn’s nur kurz war.

Während Worf zumindest für positive Emotionen und humoristische Einlagen sorgt, kommt Raffi einfach nicht aus dem Annoying-Mode heraus. Was schlicht an dem Umstand liegt, dass nahezu jede Charakterentwicklung, die Raffi in einer Staffel nimmt, in der nächsten schon wieder eliminiert wird.

Auf der anderen Seite muss man einfach sagen, dass eine gute Charakterentwicklung in diesem Setting und bei dieser dünnen C-Handlung auch kaum möglich ist. Glücklicherweise wechseln Raffi und Worf in der kommenden Folge auf die Titan. Es wird auch Zeit, denn M’talas Prime ist sowohl atmosphärisch als auch erzählerisch vollständig abgegrast.  

Krinn

Da Vadic in dieser Folge Sendepause hat, muss mal wieder ein generischer Crime Lord das Bösewicht-Vakuum füllen. Und was soll man dazu sagen? Ein Vulkanier mit zeitgenössischer Undercut-Frisur, der seine Kriminalität logisch zu erklären versucht, soll in den Augen der Autoren wohl ultracool und unterhaltsam sein. Für mich ist Krinn hingegen nur ein weiterer Eintrag in die lange Liste nichtssagender Klischee-Villains aus dem Hause Kurtzman-Trek.

Jedes Mal dieselben flachen Dialogzeilen zu schreiben, ist eine Sache. Aber dann auch noch stets aufs Neue mit den nahezu identischen schwarzen Kostümen und den böse guckenden Disco-Türsteher-Wachen anzukommen, ist wirklich ein Armutszeugnis. Es bleibt dabei: Das Gros der ‘NuTrek’-Bösewichte ist klischeehaft, langweilig und unglaubwürdig geschrieben. Ich hoffe, bei Vadic werden wir noch positiv überrascht werden.

Was auffällt: Auch Krinn hat ein vernarbtes Gesicht. Ähnliche Form, gleiche Stelle. Das hat sicher irgendetwas zu bedeuten. Ansonsten ist dieser Teil der Story aber extrem schwach.   

Inszenierung

Ein großes Plus der Episode ist deren Inszenierung, für die dieses Mal Dan Liu verantwortlich zeichnet.

“Imposters” ist offenkundig eine sogenannte ‘Bottle show’, in der nur wenige Kulissen Verwendung finden. Aber das Gesamtergebnis ist formal betrachtet trotzdem sehr gelungen. Klar, die Jagd auf die Wechselbälger wäre spektakulärer, wenn es auf der Titan auch einen Maschinenraum und Jefferies-Röhren gäbe. Und auch Picards und Ros Versöhnungsgespräch wäre in einem anderen Setting wahrscheinlich noch wirkungsmächtiger gewesen. Das ‘Ten Forward’ hat sich mittlerweile echt überlebt.

Dafür sind die Weltraum-Szenen ein echter Hingucker – optisch ansprechend und dramaturgisch genial inszeniert. Für große Begeisterung im Netz hat völlig zurecht das ‘Aufbäumen’ der Intrepid gesorgt, das laut Terry Matalas einem wütenden Drachen nachempfunden ist. Toll, genau das braucht “Star Trek”: Innovation, Eigenständigkeit und Wiedererkennungswert.

Diese Szene wird sicherlich in die Trek-Geschichtsbücher eingehen, ähnlich wie die Zerstörung der 1701 in “Star Trek III” und die Notlandung der “D” in “Star Trek: Treffen der Generationen”. Da stimme ich der Mehrheitsmeinung absolut zu.

Episoden-Infos

SerieStar Trek: Picard
Episoden-Nummer24 (Staffel 3, Folge 4)
OriginaltitelImposters
Deutscher TitelWechselbälger
Story & DrehbuchCindy Appel & Chris Derrick
RegieDan Liu
US-Erstausstrahlung16. März 2023
DE-Erstausstrahlung17. März 2023
Laufzeit55 Minuten
Datum (In-Universe)2401
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Bewertung

"Imposters" ist eine weitere Episode, die von Selbstreferenzialität und Gefühlsdrama getragen wird. Dass man uns Trekkies mit Nostalgie durchaus abholen kann, ist kein Geheimnis. Die überwiegend positiven Kritiken zur Episode sprechen hier eine eindeutige Sprache. Auch mir gefällt die Episode in weiten Teilen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass man noch viel, viel mehr aus dem Ro-Comeback hätte herausholen können, wenn man diesen Story-Arc noch gewissenhafter mit "Die Rückkehr von Ro Laren" und der vorangegangenen "Picard"-Episode verzahnt hätte. Was den Wechselbalg-Arc angeht, ist mir die dritte Staffel noch zu dicht an "Deep Space Nine" dran. Hier müssen endlich mal neue Ideen und noch nicht erzählte Dramaturgien her. Über den C-Teil der Story will ich an dieser Stelle besser den Deckmantel des Schweigens legen. Der ist nämlich enorm schwach. Unter dem Strich steht eine sehr unterhaltsame und emotionalisierende Episode, die jedoch abermals diverse Schwachpunkte und nicht ausgeschöpfte Potentiale aufweist. 3,5/5 Sternen.

Bewertungsübersicht

Handlung
Dramaturgie
Dialoge
Anspruch
Atmosphäre
Matthias Suzan
Matthias Suzan
Matthias' Leidenschaft für "Star Trek" wurde 1994 mit knapp zehn Jahren durch "The Next Generation" geweckt. TNG und DS9 sind bis heute seine Lieblingsserien. Es sind vor allem die politischen, gesellschaftlichen und menschlichen Themen des Trek-Universums, die ihn faszinieren. Aber auch die vielen, tollen Raumschiffe haben es dem passionierten Modellbauer angetan. Matthias ist seit 2017 Teil der TZN-Redaktion.

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Ich habe versucht, die deutsche Synchroversion auszuhalten, aber wirklich alles fühlt sich in der Variante konstruiert an, während im englischen Original der Ro/Picard-Bar-Dialog außerordentlich echt klingt. Echter, als ich es von Trek gewohnt bin.

Geb ich dir recht. Die Originalfassung ist oft authentischer.

Danke für die Rezension, sehr ausführlich und argumentativ gut, auch wenn ich nicht alle Meinungen teile. Dazu habe ich aber schon geschrieben Gehe nur auf 2 Aussagen und auf eine „Analyse“ ein. „..ob man beim Anschauen einen primär emotionalen oder doch eher einen kritisch-rationalen Zugang wählt..“ Also die emotionalen finden es gut und die kritisch-rationalen nicht?? „..Diese Figur macht stets das, was das Drehbuch von ihm verlangt…“..Ähh, was sonst? Oder meinst du: „…Diese Figur macht stets das, was das Drehbuch von ihm verlangt und nicht das, was ich gerne sehen würde??“ Nun zur Analyse Ro-Picard, das sehe ich ja gar… Weiterlesen »

…ich wollte nur sagen: Vergiss nicht, dass der Tod von Macias Ro vor Augen führt, was für eine Ungerechtigkeit seitens der Cardassianer hier am Werke ist. 🙂

Wow, eine großartige Interpretation!!! Vieles von dem, was Du über Ro schreibst, teile ich, nur denke ich, es wäre doch etwas einfach, primär ihr Bedürfnis nach “Nestwärme” für ihr Überlaufen zum Maquis zu verwenden. Diese Komponente kam sicherlich dazu, aber sie sah ohne Zweifel sehr klar, welche Ungerechtigkeit die Föderationssiedler in der EMZ erlitten. Dennoch: Du beleuchtest das enorm gut und verbalisierst den Bruch hin zu Picard sehr gut. Danke hierfür!

"Imposters" ist eine weitere Episode, die von Selbstreferenzialität und Gefühlsdrama getragen wird. Dass man uns Trekkies mit Nostalgie durchaus abholen kann, ist kein Geheimnis. Die überwiegend positiven Kritiken zur Episode sprechen hier eine eindeutige Sprache. Auch mir gefällt die Episode in weiten Teilen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass man noch viel, viel mehr aus dem Ro-Comeback hätte herausholen können, wenn man diesen Story-Arc noch gewissenhafter mit "Die Rückkehr von Ro Laren" und der vorangegangenen "Picard"-Episode verzahnt hätte. Was den Wechselbalg-Arc angeht, ist mir die dritte Staffel noch zu dicht an "Deep Space Nine" dran. Hier müssen endlich mal neue Ideen und noch nicht erzählte Dramaturgien her. Über den C-Teil der Story will ich an dieser Stelle besser den Deckmantel des Schweigens legen. Der ist nämlich enorm schwach. Unter dem Strich steht eine sehr unterhaltsame und emotionalisierende Episode, die jedoch abermals diverse Schwachpunkte und nicht ausgeschöpfte Potentiale aufweist. 3,5/5 Sternen.Zweitrezension: "Star Trek: Picard" 3x05 - "Wechselbälger"
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