Lasst uns gemeinsam “Seventeen Seconds” schauen! Holt euch Matthias, Michael und Janik ins Haus, um nochmal mit viel unnützem Wissen im Gepäck die dritte Folge der dritten Staffel “Star Trek: Picard” zu gucken. Wir schwärmen und lästern über Lieblingsszenen, analysieren Themen, Anspielungen und Easter Eggs und geben euch auch bemerkenswerte Infos und Triva über die Geschehnisse hinter der Kamera.
Erstrezension: “Star Trek: Picard” 3×03 – “17 Sekunden”
In der dritten Folge der aktuellen Staffel kommt es zum Showdown zwischen der Titan und der Shrike. Außerdem ermitteln Worf und Raffi weiterhin in der Unterwelt von M’talas Prime. Lest hier die SPOILER-Rezension von Tom Götz.
Kurzrezension: Star Trek: Picard 3×03 – “Seventeen Seconds”
Die dramatische Konfrontation mit der Shrike geht in die nächste Runde. Lest hier unsere spoilerfreie Rezension zu Episode 3×03 “Seventeen Seconds”.
Was meinen wir mit “spoilerfrei”?
Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen dazu, was “spoilerfrei” bedeutet. Damit ihr selbst entscheiden könnt, ob ihr die Rezension vorab lesen möchtet, machen wir hier transparent, was wir darunter verstehen:
- Wir verraten keine wichtigen und unerwarteten Wendungen der Handlung bzw. Informationen über die fiktiven Welt und ihre Figuren.
- Was im Vorfeld durch Vorschauclips und Trailer gezeigt wird, ist kein Spoiler.
- Was im Cold Open (vor dem Vorspann) bzw. im ersten Akt (bei Episoden ohne Cold Open) passiert, ist kein Spoiler.
- Handwerklichen Aspekte (Schauspiel, Drehbuch, Bühnenbild, Soundtrack, Spezialeffekte) sind keine Spoiler, sofern sie nichts Wichtiges über die Handlung verraten.
Seventeen Seconds
Nachdem Jack Crusher nicht an Captain Vadic ausgeliefert wurde, beginnt Letztere eine Hatz auf die U.S.S. Titan, die sich in jeder Hinsicht unterlegen immer tiefer in einen unerforschten Nebel zurückziehen muss. Picard und Crusher haben 20 Jahre Geschichte aufzuarbeiten, während Raffi und Worf weiter nach den Drahtzieher:innen des M’talas-Anschlags fahnden.
Handlung
Das Ende von “Disengage” liefert die Ausgangsbedingungen für eine klassische U-Boot-Jagd im Stile von “Balance of Terror”, “The Wrath of Khan”, “Insurrection” oder “Memento Mori”. Glücklicherweise ist “Seventeen Seconds” kein Remake dieser bekannten Vorlage und somit auch keineswegs vorhersehbar.
Der Kampf gegen die Shrike ist zwar ein wichtiger, aber nicht der entscheidende Aspekt der Story. Captain Vadics Angriffe auf die Titan sind vielmehr der Katalysator für die Handlung auf der Titan.

Zunächst der Elefant im Raum: Jack ist Picards Sohn. Sicherlich haben viele Zuschauer:innen berechtigte Sorge, wie dieser Teil des Plots erklärt und gehandhabt wird. Und ganz offensichtlich wussten das auch die Autorinnen Jane Maggs und Cindy Appel. Es freut mich, zumindest für den Moment festzuhalten, dass “Seventeen Seconds” diese Herausforderung meistert. Jack Crusher wird für mich plausibel in die Kontinuität der Serie eingeführt, ohne dass wir einen unglaubwürdigen Retcon schlucken müssen.
In einem zweiten Handlungsstrang der Folge werden Picard und Riker in eine sehr ungewohnte Lage gebracht. Die wachsende Bedrohung durch die Shrike und die schwindenden Ressourcen der Titan setzen die beiden und ihre Beziehung unter Druck. Auch wenn sich die Episode vordergründig am Kampf zwischen zwei Raumschiffen abarbeitet, geht es doch in Wirklichkeit um den wachsenden Konflikt auf der Brücke.

Im dritten Handlungsstrang auf der Titan bilden Jack Crusher und Seven of Nine ein Team der Außernseiter:innen, über deren Mission ich aus Spoilergründen keine Details verraten kann. Nur so viel: In dieser Episode wird erstmals in Ansätzen erkennbar, dass der Terroranschlag auf M’talas Prime und Captain Vadics Shrike in Verbindung zueinander stehen. Was besonders schön ist: Regisseur Jonathan Frakes hält sich an das Prinzip “show, don’t tell”. Eingefleischte Trekkies haben eine Chance, zu erkennen, was vor sich geht, bevor es ein paar Szenen später ausgesprochen wird. So belohnt man jahrzehntelange Treue.
Und damit wird auch die B-Handlung (abermals in der Unterwelt von M’talas Prime) gegen Ende interessant. Das hat nicht nur (aber auch) damit zu tun, dass Michael Dorn als Worf in Fleisch und Blut auf der Bildfläche erscheint. Auch die Ermittlungsarbeit wird endlich spannend. Nämlich als klar wird, dass “Seventeen Seconds” eine bedeutsame Verbindung zum etablierten “Star Trek”-Kanon hat. Die Enthüllung ist extrem wirkungsvoll und ein bisher gut gehütetes Geheimnis, auf das uns Trailer erfreulicherweise nicht vorbereitet haben. Die Kanonverbindung ist sinnvoll, glaubwürdig und schraubt ordentlich an der Fallhöhe dieser dritten Staffel. Gleichwohl bin ich froh, dass wir offenbar mit dieser Episode endlich M’talas Prime verlassen können.
Charaktere und Dialoge
“Seventeen Seconds” ist für mich das bisherige Highlight dieser Staffel. Und das hat ganz wesentlich mit der ersten größeren Szene zwischen Stewart und McFadden zu tun, in der beide mit unglaublicher Intensität aufspielen. Das fühlt sich alles wahrhaftig, aufrichtig und angemessen an. Was in diesen fünf Minuten an Emotionen vom Bildschirm ins Wohnzimmer schwappt, ist einfach großartig.

Selbst wenn “Picard” es wieder einmal nicht schaffen sollte, die Staffel zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen, so muss ich ehrlich sagen: Allein für diese Szene hat sich der Aufwand dieser drei Staffeln mit all ihren Problemen und Tiefpunkten gelohnt. Ich hatte mit wohligen Nostalgiemomenten gerechnet. Aber nicht damit, dass mich McFadden mit ihrer ersten große Dialogszene bewegt und sprachlos zurücklässt.
Nicht nur Picard und Crusher müssen ihre Beziehung in dieser Episode auf neue Füße stellen, auch Picard und Riker werden durch die Umstände in eine ungewohnte Dynamik geworfen. Eine Dynamik, die die Grenzen ihres gegenseitigen Vertrauens und ihrer langen Freundschaft auslotet. Im Gegensatz zur Crusher-/Picard-Paarung finde ich diesen Konflikt, der sich im Laufe der Folge zuspitzt, unglaubwürdig, schlecht motiviert und unnötig. Zwischen Picard und Riker sollte eigentlich kein Blatt passen – gerade in einer Stresssituation, in der es um Leben und Tod geht. Leider ist die unglaubwürdige Entwicklung zwischen den beiden die große Enttäuschung dieser Episode.
Ein überraschend gutes Doppel geben indes Raffi Musiker und Worf ab. Beide stellen einen schönen Persönlichkeitskontrast dar und haben zudem eine tolle Chemie. Diese Figuren verbindet mehr, als es auf den ersten Blick erscheint. Die Good Cop/Bad Cop-Dynamik in einem Verhör, bei dem der Klingone das freundlichere Gesicht verkörpert, ist Gold wert. Ebenso wie Worfs trockene One-Liner, mit denen er Raffis Sarkasmus ins Leere laufen lässt.

Positiv aufgefallen sind mir zudem verschiedene kleinere Szenen. Ashlei Sharpe Chestnut als Sidney La Forge besucht die vom Dienst suspendierte Seven of Nine und entwickelt sich mit nur wenigen Dialogzeilen zu einer echten Sympathieträgerin. Auch eine kleine Szene zwischen Jonathan Frakes’ Will Riker und Ed Speleers’ Jack Crusher gehört zu den kleinen Highlights der Folge.
Todd Stashwick hat wegen einer Drehbuchvolte diese Episode nicht so viel zu tun, wie man annehmen könnte. Aber nach einer schwächeren Vorwoche darf sein Captain Shaw dennoch kurz auftrumpfen und zeigen, dass er nicht umsonst auf dem Stuhl in der Mitte sitzt.
Durch den starken Fokus auf die Geschehnisse auf der Titan müssen wir aber leider auf eine signifikante Szene mit Amanda Plummers Captain Vadic verzichten. Diese beschränkt sich aufs Rauchen und das gelegentliche Erteilen von Feuerbefehlen.
Inszenierung
Jonathan Frakes steht sowohl für “Seventeen Seconds” als auch für die vierte Episode (“No Win Scenario”) als Regisseur am Ruder. Und in dieser Folge nimmt er das Drehbuch mit vielen starken Szenen auch dankend an, was sich in einer tadellosen und mitreißenden Umsetzung widerspiegelt.
Das einzige, was gegen die Wirksamkeit der Episode arbeitet, ist wohl die Erwartungshaltung, es mit einem dichten U-Boot-Thriller im Stile von “Memento Mori” zu tun zu bekommen. Ja, “Seventeen Seconds” hat entsprechende Elemente, und die Weltraumhatz spielt auch eine wichtige Rolle. Entscheidend und spektakulärer ist aber, was zwischen den Charakteren passiert. Und da kitzelt Frakes aus seinen alten und neuen Co-Stars wirklich sehenswerte Leistungen heraus.
Diese Episode ist für mich, wie bereits gesagt, die Rechtfertigung dafür, die alte Garde noch einmal so spät in ihrer Karriere für “Star Trek: Picard” vor die Kamera gestellt zu haben. Auch wenn der Funke in den ersten beiden Staffeln nie so richtig zünden wollte: Hier gelingt es. Denn Frakes animiert sein Ensemble zu einem echten Feuerwerk.

Ein Feuerwerk gibt es aber nicht nur zwischen den Figuren, sondern natürlich auch im Weltraum. Auch wenn sich schon einige “Star Trek”-Raumschiffe durch wabernde Nebel verfolgt haben, sah das noch nie so gut aus wie in “Seventeen Seconds”. Die diffusen Lichtverhältnisse sind für die hochglänzenden Raumschiffmodelle vorteilhaft, sodass der “Blechbüchsen-Look” der letzten Episode dieses Mal weniger prominent heraussticht. Stattdessen gibt es schicke Lichteffekte in den farbigen Wolkenfeldern sowie dynamische Flugakrobatik.
Neben der rein optisch tadellosen Präsentation fährt die Episode, wie bereits “Disengage” vor ihr, ein paar coole Ideen auf, um die üblichen Muster dieses “Star Trek”-Untergenres aufzulockern und frisch zu halten.
Beobachtungen

- Zeitdauern (ohne Zusätze) als Episoden- und Filmtitel sind allgemein recht weit verbreitet. Beispielsweise hieß die erste reguläre Episode von “Battlestar Galactica” (2003) “31 Minutes”, ein Kennedy-Drama heißt “Thirteen Days” und “36 Hours” ein Kriegsthriller von 1965. Für “Star Trek” ist es nach “Thirty Days” in “Voyager” erst das zweite Mal, dass die Episode nur mit einer Zeitdauer betitelt ist.
- De-Aging ist ein visueller Effekt, der nicht zu den Stärken von “Picard” gehört. Ich freue mich schon auf die Fan-Remakes der Flashback-Sequenz.
- Wir sehen im Flashback schon wieder eine neue Uniform-Variante, diesmal vom in “First Contact” eingeführten Schnitt. Die wörtliche Bedeutung von “Uniform” scheint bei der Sternenflotte langsam in Vergessenheit zu geraten…
- Ich finde es sehr seltsam, dass die Crew keinerlei Initiative zeigt, die ungewöhnlichen Eigenschaften des Nebels genauer zu untersuchen, obwohl die Titan doch angeblich ein “Exploratory Vessel” ist. Seltsam, dass man einen potentiellen taktischen Vorteil links liegen lässt. Stattdessen Shaw: “Das ist lustig. Will sonst noch wer merkwürdigen Scheiß nach mir werfen?” (frei übersetzt basierend auf Englischen Sprachfassung)
- Wie häufig haben wir es schon in “Star Trek” gehört (oder gedacht), dass einfach mal jemand aus dem Fenster gucken sollte? Wie erfrischend, dass Shaw dazu tatsächlich mal die Order erteilt!
- Es wundert mich, dass weder Riker noch Picard auf die Idee kommen, die Hilfe von Seven of Nine in der sich eskalierenden Krisensituation zu suchen. Schließlich hat die Staffelpremiere klar gezeigt, dass zumindest Picard das Wissen um aktuelle Protokolle und Schiffsspezifikationen gut gebrauchten könnte.
- Worf spielt zum Mok’bara-Training den “Chanson d’Hylas” aus der Oper “Les Troyens” von Hector Berlios. Das Stück war bereits schon einmal in “Star Trek” zu hören. Picard starrt zu den selben Takten in “First Contact” aus dem Fenster seines Bereitschaftsraumes.
- Worf stellt sich nicht nur als “Sohn des Mogh” vor, sondern auch als Sohn seiner Adoptivfamilie (und noch ein paar netten weiteren “Referenzen”).
- Köpfungen finden Mittwochs statt. Worf war schon immer der heimliche Klassenclown.
- Worf besitzt noch seinen alten “Cobrahead”-Phaser vom Typ 2, wie er auf der Enterprise-E in “Nemesis” verwendet wurde.
- Titus Rikka wird von Thomas Dekker gespielt, am besten bekannt als John Connor aus “The Sarah Connor Chronicles”, aber auch schon mit mehreren Nebenrollen in “Star Trek”
- Der große Twist über die Hinterleute des M’talas-Anschlages und die Verbindung zu den Geschehnissen im Ryton-System kann immer noch nicht die komplette Story sein. Captain Vadic und ihre Crew scheinen einer anderen Fraktion anzugehören und eigenen Motiven zu folgen.
- Die Episode reinterpretiert in diesem Kontext einen bekannten visuellen Effekt. Wobei ich mir wie häufig unschlüssig bin, ob diese neue und mutmaßlich teurere Umsetzung wirklich eine Verbesserung zur Originalversion darstellt.
- Riker befiehlt “alles, was wir haben”, abzufeuern. Warum sind das nur vier Torpedos und keine Phaser?
- Zwei Photonentorpedo-Merkwürdigkeiten: Erstens konnte Tasha Yar in “Encounter at Farpoint” sie noch so programmieren, dass sie in bestimmter Entfernung zum Schiff/Ziel detonieren, das scheint nicht mehr möglich. Zweitens konnte Malcom Reed in “Fight or Flight” Torpedos nach dem Abfeuern ebenfalls noch den Befehl für eine vorzeitige Sprengung übermitteln, auch das scheint man im 25. Jahrhundert verlernt zu haben.
On Screen: Serien-Podcast
Schaut mit uns gemeinsam, holt euch die Redaktion des TrekZone Networks auf die Fernsehcouch! Zu jeder Folge “Picard” gibt es bei uns einen Live-Kommentar. Wir klicken zur selben Zeit auf PLAY, und los geht’s!
Wartet nicht auf DVDs oder Blu-rays, bei uns werdet ihr direkt mit unnützem Wissen, Hintergrundinformationen und wilden Fantheorien versorgt.
Mit Rücksicht auf die Leser:innen, die die Episoden noch nicht gesehen haben, bitten wir in den Kommentaren zu diesem Beitrag auf Spoiler zu verzichten. Danke!
Zweitrezension: Star Trek: Picard 3×02 – “Abgezogen”
Dr. Crusher ist zurück! Worf ist zurück! Und auch der “alte” Captain Picard ist endlich wieder zurück! Lest hier unsere zweite SPOILER-Kritik zu “Disengage”.

Transparenzhinweis: Der Autor dieser Rezension hat bisher noch keine Screener der übrigen acht Staffel-Episoden gesehen und verfügt demnach über keine zusätzlichen Plot-Kenntnisse.
Handlung
Picard (Patrick Stewart), Riker (Jonathan Frakes), Beverly (Gate McFadden) und Jack Crusher (Ed Speleers) werden von der im Nebel eintreffenden Titan gerettet und an Bord gebeamt. Doch die sadistische Kopfgeldjägerin Captain Vadic (Amanda Plummer), Kommandantin der “Shrike”, fordert die Auslieferung von Jack. Ansonsten droht sie der waffentechnisch unterlegenen Titan mit vollständiger Vernichtung.
Während sich Picard und Riker für Jack einsetzen, beharrt Captain Shaw (Todd Stashwick) weiterhin auf seinem Standpunkt: Er ist nicht bereit, Schiff und Besatzung für einen Mann in Gefahr zu bringen – schon gar nicht für einen gesuchten Kriminellen. Kurz vor Ablauf des Ultimatums kommt eine aus dem Koma erwachte Beverly Crusher auf die Brücke und bestätigt Picard, was er und Riker insgeheim schon vermutet hatten: Jack ist Picards Sohn!
Von dieser Nachricht emotional übermannt, nutzt Picard seine Autorität als Admiral, um Captain Shaws Befehle zu widerrufen. Anstatt Jack auszuliefern, eröffnet die Titan nun das Feuer auf die Shrike und flüchtet anschließend in die Tiefen des Nebels.

Währenddessen sucht Raffi (Michelle Hurd) auf M’talas Prime entgegen den Anweisungen des Sternenflottengeheimdienstes weiterhin nach den Drahtziehern des Terroranschlags auf das dortige Rekrutierungszentrum der Sternenflotte. Die offizielle Version, dass der romulanische Dissident Lurak T’Luco hinter der Aktion steckt, hält sie für eine fatale Fehleinschätzung.
Über ihren Ex-Mann Jae Hwang (Randy J. Goodwin) kommt sie in Kontakt mit dem ebenso einflussreichen wie skrupellosen Ferengi-Gangsterboss Sneed (Aaron Stanford), von dem sie sich eine neue Spur zu den Drahtziehern der Terrorattacke erhofft. Als sie Sneed einen Deal vorschlägt, enttarnt er sie als Spionin der Sternenflotte.
Kurz bevor dessen Handlanger Raffi ermorden können, schreitet ein Klingone ein und tötet Sneed und seine persönlichen Leibwächter. Und dieser Klingone ist kein Geringerer als Worf, Sohn von Mogh (Michael Dorn)!
Drehbuch & Dramaturgie
Das Drehbuch zu “Disengage” wurde von Christopher Monfette und Sean Tretta verfasst. Die Autoren führen die zweigliedrige Story der Auftaktepisode nahtlos fort. Im Gegensatz zu “The Next Generation” verfügt Folge 2 allerdings über ein klares erzählerisches Motiv, an dem sich die Dramaturgie beider Story-Arcs entlanghageln kann. Das tut der Episode sichtlich gut. “Disengage” ist spannender als die letztwöchige Folge und wirkt als Einzelepisode insgesamt auch deutlich runder.
Fixpunkt der Episode sind diverse Figuren, die sich sprichwörtlich aus ihrem alten Leben (bzw. aus gewohnten Verhaltensweisen) “ausklinken” (engl. “to disengage”) oder dies bereits zu einem früheren Zeitpunkt getan haben:
Beverly und Jack haben sich vor Jahren aus ihrem geordneten Leben ausgeklinkt, um in humanitärer Mission für die Mariposas tätig zu werden. Die teils schwierigen Verhältnisse außerhalb des Föderationsgebietes haben dazu geführt, dass beide mitunter gegen planetare und interstellare Gesetze verstoßen mussten, wie Jack berichtet.
Ausgeklinkt hat sich vor rund 20 Jahren auch Picard, als er sich wütend, enttäuscht und resignierend auf sein Weingut zurückzog. Daran erinnert ihn Jack in einem Vier-Augen-Gespräch in der Arrestzelle. An dieser Stelle greifen die beiden Autoren sehr effektiv auf die Geschehnisse in Staffel 1 zurück. Der Dialog, in welchem Jack fragt, ob Picard seine alten Freunde überhaupt noch kennt, ist einer der stärksten in der gesamten Episode.
Wenig überraschend klinkt sich auch (mal wieder) Raffi aus, um in der Unterwelt von M’talas Prime nach den Drahtziehern des Terroranschlags zu suchen. Auch das Ausklinken aus ihrem alten Familienleben (Season 1) wird hier wieder aufgegriffen. Einiges deutet zudem darauf hin, dass sich auch Worf einst aus seinem früheren Leben bei der Sternenflotte ausgeklinkt hat.
Für kurze Zeit klinkt sich sogar Captain Shaw aus seiner Play-Safe-Haltung aus, nämlich als er sich von Seven davon überzeugen lässt, dass ein guter Captain eben auch mal Risiken eingehen muss. Vor allem dann, wenn das Leben von Kameraden auf dem Spiel steht.
Diese einzelnen “disengage”-Puzzleteile ergeben unter dem Strich ein Ganzes, das durchaus erzählerische Stringenz erkennen lässt. Der deutsche Titel “Abgezogen” ist nach meinem Dafürhalten jedoch nicht optimal gewählt, weil er sich nur auf Raffi zu beziehen scheint, die übrigen “Auskopplungen” aber hinten runterfallen. “Ausgeklinkt” (oder “Abgekapselt”) wäre meiner Meinung nach der bessere Episodentitel gewesen.

Trotz klarer Steigerung hinsichtlich der Dramaturgie leidet auch diese Episode wieder an einigen kleineren und größeren Drehbuchschwächen. So greift “Disengage” mit dem einstündigen Ultimatum mal wieder sehr tief in die Klischee-Kiste Hollywoods. Allen voran mit der Auflösung in aller letzter Sekunde. Ich frage mich hier immer: Muss das wirklich so stereotyp sein oder ginge es nicht vielleicht doch etwas weniger vorhersehbar?
Hinzu kommen einige Details, die dem Gelegenheitszuschauer eher nicht auffallen dürften, den Hardcore-Trekkies aber sofort ins Auge stechen:
- Warum befiehlt Shaw erst kurz vor dem Einschlag der Eleos das Aktivieren der Schilde? Die allgemeine Gefahrenlage (taktischer Scan der Shrike, Alarmstufe Rot [Schilde werden automatisch aktiviert], schädliche Nebelstrahlung) sollte hier eigentlich ausreichend verdeutlicht haben, dass das vielleicht keine so schlechte Idee wäre.
- Ist Seven nun suspendiert oder nicht? In einer Szene enthebt Shaw sie noch von ihrem Posten, in der nächsten führt die gerade erst Suspendierte dann wieder ein Sicherheitsteam an. Überhaupt macht Shaw hier keine gute Figur.
- Jack wird – ohne vorher “gefilzt” zu werden – einfach in die Arrestzelle gesteckt. Nur Captain Kirks Viridium-Pflaster in “Star Trek VI” war ein noch offensichtlicheres Drehbuchloch in dieser Kategorie. Und dann noch der klischeehafte Trick mit dem Provozieren des Wachoffiziers, der die Intelligenz und Reaktionsgeschwindigkeit eines Pakleds zu haben scheint. Die ganze Szene hat mich u.a. verdächtig an Jokers Zellenausbruch in “The Dark Knight” erinnert.
Ein weiterer Schwachpunkt des Drehbuchs betrifft das in meinen Augen konstruierte Dilemma, ob man Jack ausliefern sollte oder nicht. Shaws Argumentation, Schiff und Besatzung hätten außerhalb des Föderationsraums Priorität, steht im krassen Widerspruch zum Asylrecht, das die Föderation Personen gewährt, die bei Strafverfolgung durch fremde Mächte um ihr Leben fürchten müssen. Shaws Haltung mag zwar zu dessen Charakter passen, nicht aber zum Wertekanon der Föderation. Der Umstand, dass Jack als Mensch wohl auch Föderationsbürger ist, macht Shaws Entscheidung noch abstruser.
Die hier aufgemachte Unterscheidung “Die Sternenflotte lässt niemanden aus den eigenen Reihen zurück” – ein häufig angeführtes Mantra aus früheren Episoden – und “Er ist nur ein Krimineller” hat es in dieser Form so eigentlich nie gegeben. Es wäre mir neu, dass die Sternenflotte das Leben ihrer Angehörigen als wertvoller einschätzt als das von zivilen Föderationsbürgern (oder von anderen Humanoiden) – selbst wenn es sich dabei um Personen mit kriminellem Hintergrund handelt. Und schon gar nicht gegenüber dubiosen Kopfgeldjägern, die außerhalb einer legitimen territorialen Jurisdiktion stehen. Die Oberste Direktive greift hier also nicht (nur falls jemand “Das Gesetz der Edo” oder “Wer ist John?” usw. anführen möchten.) Man fragt sich demnach, wie Shaw einen charakterlichen Eignungstest für die Befähigung zum Kommando-Offizier bestanden haben soll, wenn er derart utilitaristisch argumentiert.
Zudem ist dieses Dilemma in “Star Trek” weder neu, noch wird es hier in besonders tiefgründiger Weise entfaltet. “Wer ist John?” (TNG 3×25) erwähnte ich bereits, aber auch “Die Verfemten” (TNG 3×11), “Der Fall ‘Dax'” (DS9 1×08) oder “Reue” (VOY 7×13) greifen ein ähnliches Dilemma auf, arbeiten die ethisch-moralischen Implikationen allerdings dezidierter, kontroverser und somit auch wirkungsvoller heraus. “Disengage” bleibt diesbezüglich doch recht oberflächlich und lässt vor allem Picard, einst Vorkämpfer für die Rechte aller empfindungsfähigen Lebewesen, in einem fragwürdigen Licht erscheinen (siehe unten).

Der Handlungsstrang auf M’talas Prime leidet bedauerlicherweise abermals an einer teils erwartbaren, teils konstruierten Dramaturgie. Eine gewisse Spannung ist aber trotzdem spürbar. Nur leider ist Raffis Plan einfach strunzdumm. Man muss es so deutlich sagen. Um es mal kurz runterzubrechen: Ich gehe in eine Bar zu einem gefährlichen Gangsterboss, der übrigens weiß, dass ich kürzlich noch bei der Sternenflotte war. Dann versuche ich ihn zu bestechen…und gehe wieder gesund und munter mit neuen Informationen einfach so weg? Ziemlich naiv!
Worfs erster Auftritt in “Picard” ist zweifellos sehr gut geschrieben und in Szene gesetzt und passt auch zu diesem Charakter. So will ich keinesfalls bestreiten, dass Worf schon früher sehr gewalttätig und mitunter auch kaltblütig agiert hat. Das ist eine nachprüfbare Tatsache (vor allem bei Duras, Gowron und Weyoun 7).
Und dennoch finde ich diese Art der Gewaltdarstellung mit viel Blut und geradezu “zelebrierten” Enthauptungen einfach nur abartig – gerade in heutigen Zeiten, in der solche Meldungen leider immer noch bittere Realität sind, sogar in Deutschland (einfach mal googlen). Man muss den Autoren von “Picard” also fast schon einen fragwürdigen “Fetisch” für abgetrennte Köpfe attestieren, siehe “Unbedingte Offenheit” (PIC 1×04). Ganz klar: Daumen runter für diese Form der Gewaltverherrlichung – vor allem in “Star Trek”! 👎🏻 👎🏻👎🏻
Über den Verschwörungs-Handlungsbogen kann man indes noch nicht wirklich urteilen. Die Story kommt hier kaum voran. Klar scheint aber, dass die Sternenflotte wohl in eine große Verschwörung verwickelt ist. Dafür präsentiert sie einfach zu schnell einen Schuldigen für den Terroranschlag. Mal sehen, wie es hier am Freitag weitergeht. Nur hoffentlich dann nicht mehr auf M’talas Prime. Ein Szenenwechsel würde der B-Story jetzt mal gut tun.
Charaktere
Jean-Luc Picard
In meiner letztwöchigen Rezension hatte ich kritisiert, dass Picard in “Picard” viel zu oft passiv, unselbstständig und resignativ erscheint. Besonders aufgefallen war mir das in der Dinner-Szene, in der Picard sich ziemlich schnell in sein Schneckenhaus zurückzieht, Riker die Initiative überlässt und Captain Shaws unfaire und unsachliche Angriffe einfach wehrlos über sich ergehen lässt. Für mich war das ein wahres Ärgernis.
Umso mehr hat es mich gefreut, dass wir in “Disengage” endlich wieder den alten Picard zu sehen bekommen – wenn auch nur kurz und unter fragwürdigen Rahmenbedingungen (dazu gleich mehr). Denn: Er ist erwacht! Picard nutzt seine Autorität als Admiral, um Captain Shaws Befehl, Jack Crusher an die Shrike auszuliefern, zu überstimmen. Mit lauter, kräftiger Stimme, einem entschlossenen Blick und mit der aus TNG gewohnten Picard-Brücken-Präsenz beansprucht er die “Richtlinienkompetenz”, ohne zugleich Captain Shaw den Platz in der Mitte streitig zu machen. Yeah, das ist Jean-Luc Picard! Ein Kommandant mit Augenmaß, der zwar sagt, wo es langgeht, dabei aber stets seine Crew mitnimmt. Primus inter pares.

Und nun kommt das Aber. Die Umstände, unter denen Picard sein altes TNG-Ich entdeckt, sind mitunter widersprüchlich – und auch moralisch fragwürdig.
Zunächst stellt sich die Frage, warum Shaw Picards Befehlsgewalt plötzlich akzeptiert. In PIC 3×01 “The Next Generation” machte er Picard noch unmissverständlich deutlich, dass er lediglich ein Admiral im Ruhestand sei, demnach keine Befehlsgewalt besitze und die Titan folglich sein Schiff sei. Davon ist nun aber nichts mehr hören.
Viel schwerer wiegt allerdings das Problem, dass Picard erst dann die Initiative ergreift, als er erfährt, dass Jack nicht nur Beverlys, sondern auch sein Sohn ist. Entschuldigung, aber das ist maximal blöd geschrieben, denn es widerspricht einerseits dem TNG-Picard und lässt den “Picard”-Picard auch in einem fragwürdigen Licht erscheinen. Jack ist immerhin ein Mensch, dem womöglich eine Lynchjustiz droht. Er ist Föderationsbürger. Er ist der Sohn seiner langjährigen Freundin (und Ex-Geliebten?) Beverly. Und trotz alledem bedarf es erst der persönlichen Involvierung, um zu tun, was seinem ureigensten Wertekanon entspricht?
Für Wesley brach Picard die Oberste Direktive (TNG 1×08 “Das Gesetz der Edo”). Für Datas Tochter Lal verweigerte er den direkten Befehl eines ihm vorgesetzten Admirals. (“Datas Nachkomme” TNG 3×16). Für die Ba’ku zettelte er einen Aufstand gegen eine Anweisung des Föderationsrates an (“Star Trek: Der Aufstand”). Aber hier braucht er erst den emotionalen Tritt in den Hintern? Nein, für den Picard, den wir aus TNG kennen, sind Gene, Herkunft, Taten oder was auch immer in solchen Fragen wahrlich nicht entscheidend. Picard muss hier einfach früher dominanter auftreten.
Leider hat man auch nach 22 Folgen “Picard” stellenweise immer noch das Gefühl, dass die Autoren der Serie Picard nicht so gut kennen, wie sie ihn eigentlich kennen sollten. Immer mal wieder agiert er “out of character”.
Jedenfalls ist Jacks Existenz ein echter Game Changer für Picard. Seine Familienlinie wird nun womöglich doch nicht mit ihm enden. Es dürfte spannend werden, wie der 96-jährige Picard mit seiner unerwarteten Vaterschaft umgehen wird.
Jack Crusher
In einer kurzen Rückblende, aber auch im weiteren Verlauf der Episode erfahren wir Hintergründe zu Jack Crusher, der sich am Ende als Beverlys und Picards gemeinsamer Sohn herausstellt.
Vieles deutet darauf hin, dass er (im Gegensatz zu Ed Speleers) erst Anfang 20 ist, was seine Zeugung auf die Zeit kurz vor oder kurz nach “Star Trek: Nemesis” (2379) datieren würde. Rikers Gespräch mit Picard im Turbolift sowie Picards Gespräch mit Laris in Folge 3×01 legen jedenfalls eine (kurze) Beziehung zwischen Jean-Luc und Beverly nahe. Dazu passt auch der abrupte Kontaktabbruch, der in die frühen 2380er-Jahre fallen dürfte.

Jack wird in “Disengage” eigentlich recht gut charakterisiert, wenngleich er natürlich noch einige Geheimnisse birgt, die auch am Ende der Episode noch nicht gelüftet werden. Aber so viel kann man schon mal sagen: Jack ist das Kind seiner Eltern! Er trägt den Gerechtigkeitssinn und das Helferherz seiner Mutter in sich, aber ebenso das Selbstbewusstsein, die Gerissenheit und die Entscheidungsfreudigkeit seines berühmten Vaters. Meinem Eindruck nach könnte er wie seine Mutter ein Arzt sein – oder zumindest fundierte medizinische Kenntnisse besitzen.
Interessanterweise spiegelt er auch den kriminellen Background von Picards angeblichen Sohn Jason Vigo (TNG 7×22 “Boks Vergeltung”) wider. Eine nette Anspielung auf die besagte TNG-Folge.
Jack hat die ein oder andere gute Dialogzeile (“Gibt es irgendeine Person, die Sie kennen, die immer noch die Person ist, die Sie kannten?” Oder haben Sie auf Ihrem Weingut Wurzeln geschlagen, während für den Rest das Leben weiterging?”). Er wirkt an der ein oder anderen Stelle aber noch etwas überzeichnet. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass man ihn in dieser Episode besonders “cool” erscheinen lassen wollte. Im Netz werden schon Parallelen mit Han Solo ausgemacht – und das wohl nicht ganz zu Unrecht.
Die Figur hat aber zweifellos Potential und ich bin gespannt, was wir noch alles über ihn erfahren werden. Mindestens genauso gespannt bin ich allerdings darauf, welche Dynamik Beverlys und Jacks Mutter-Sohn-Beziehung kennzeichnen wird. Da Jack scheinbar ein völlig anderes Naturell als Wesley besitzt, unter ganz anderen Umständen aufgewachsen zu sein scheint und sich auch Beverly verändert hat, werden wir ganz sicher keine simple Neuauflage von “Shut up, Wesley!” erleben. 😉
Beverly Crusher
Gates McFadden hat nur einen kurzen Auftritt ohne jede Textzeile. Und dennoch ist ihr Auftritt das absolute Highlight der Folge. Grandios gespielt! Wortlos, einzig auf Blickkontakt basierend, teilt sie Picard mit, was ihm wohl schon irgendwie bewusst war: Jack ist der Sohn, den er nie aufwachsen sah. Die unverhoffte Erfüllung eines persönlichen Traums, spätestens seit “Star Trek: Treffen der Generationen” (2371).

Alles das weiß Beverly. Und trotzdem entschied sie sich dafür, Jack aus Picards Leben herauszuhalten. Wir alle wissen, wie einfühlsam Dr. Crusher eigentlich ist. Es muss also einen triftigen Grund dafür geben und den werden wir wohl in Folge 3 erfahren. Ich bin gespannt auf diese neue Beverly, die die letzten Jahre scheinbar in einer Grauzone zwischen Humanität und Illegalität verbracht hat.
Captain Shaw & Seven of Nine
Etwas im Hintergrund der Geschehnisse um Jack Crusher verläuft der Konflikt zwischen Captain Shaw und seiner Nummer Eins, Commander Hansen aka Seven of Nine. Ich muss zugeben, dass ich aus dieser Konstellation nicht so ganz schlau werde. In TNG hatte ich den Eindruck, dass sich ein Captain seinen Ersten Offizier aus einer Liste aus Kandidaten aussuchen darf. Hier sieht es aber so aus, als habe man Seven einfach auf den Posten gesetzt, ohne zuvor Shaws Zustimmung einzuholen.
Nun gut, die beiden sind sich scheinbar nicht grün und diese Antipathie beruht auch auf Gegenseitigkeit. Das ist auch der Unterschied zur Anfangsphase von “Deep Space Nine”, wo Kiras Antipathie gegenüber Sisko zunächst einseitig war – und auch nicht persönlich, sondern sich gegen die Sternenflotte insgesamt richtete.
Ich habe aber durchaus den Eindruck, dass sich deren angespanntes Verhältnis im Verlauf der Staffel noch positiv verändern wird. Hoffnung macht mir hier vor allen Dingen der Umstand, dass Shaw weder fachlich inkompetent noch grundsätzlich unmenschlich rüberkommt. Vielmehr scheint er an einem persönlichen Trauma (“NuTrek” halt!) zu leiden, das ihn irgendwie zu hemmen scheint.

Captain Vadic macht eine kurze Anspielung, die Shaw in diesem Moment auch sehr zu treffen scheint: “In Anbetracht Ihres offiziellen psychologischen Profils bei der Sternenflotte bin ich überaus froh, dass Sie trotz allem weiterhin…funktional sind.” Das geht im Eifer des Gefechts etwas unter. Die Wolf 359-Theorie könnte also stimmen. Shaw wird die Katze irgendwann aus dem Sack lassen – oder dazu genötigt werden.
Wie gesagt, mein Gefühl sagt mir, dass wir Shaw am Ende der Staffel noch lieben werden. Wollen wir wetten?
William T. Riker
Captain Riker bleibt dieses Mal etwas mehr im Hintergrund, ohne jedoch zum Statisten degradiert zu werden. Jonathan Frakes spielt hier wieder sehr stark. Es macht Spaß, wie er Picard immer mal wieder in den Hintern tritt. Denn wie wir wissen, verdrängt der gute Admiral gerne mal Dinge, die seine Privatsphäre und sein Seelenleben betreffen. Riker ist hier Picards Gewissen; quasi das, was Pille stets für Kirk war. Wenngleich Riker sich etwas filigraner ausdrückt als McCoy damals.

Erfreulich ist auch, dass Riker immer wieder auf Konfrontationskurs mit Shaw geht und ihm klarmacht, dass ein guter Sternenflotten-Captain mehr drauf haben muss als nur kühle Paragrafenreiterei. Dass es dabei auch um das Vertreten von Werten geht. An dieser Stelle hätte das Rededuell gerne noch etwas aggressiver und persönlicher werden dürfen, etwa indem Shaw Riker unterstellt, er könne nicht verkraften, dass die Titan nun sein Schiff ist. Aber unter dem Strich hat mir Rikers Rolle gut gefallen.
Raffi & Worf
In Bezug auf Raffi hat sich leider nicht viel geändert. Auch in “Disengage” hatte ich nicht den Eindruck, dass sich Raffi seit Staffel 1 als Person großartig weiterentwickelt hat, von ihrer Drogen-Abstinenz mal abgesehen. Sie ist immer noch genauso emotional kompromittiert, jähzornig und kopflos wie eh und je. Wäre sie in ihren 20ern, könnte ich wahrscheinlich besser damit leben. Aber sie ist fast 50 Jahre alt, hat es bis zum Rang eines Commanders gebracht, zeigt aber leider überhaupt keine Professionalität und auch keine Führungsqualitäten. Nach der zweiten Staffel wäre eine Weiterentwicklung einfach angebracht gewesen. Das heißt ja nicht, dass man den Charakter komplett umschreiben muss.
Dass sie auf eigene Faust weiterermittelt, ist derweil nachvollziehbar und passt auch zum Charakter. Das hätten viele andere Trek-Charaktere sicherlich auch so gemacht. Aber ihr Plan ist einfach seltendämlich. Ebenso blöd finde ich es, dass man bei ihr ständig dieselbe Leier erzählt. Mal wieder muss sie sich zwischen Familie und Pflicht entscheiden, was grundsätzlich noch okay wäre, hätte man dieses Szenario nicht so dermaßen konstruiert. Es wirkt einfach unglaubwürdig.
Ich würde gerne mal etwas Positives über Raffi schreiben, aber leider sehe aktuell noch keinen Anlass dazu. Mir ist sowohl der Charakter als auch das Setting auf M’talas schlicht viel zu zeitgenössisch.

Zu Worfs Auftritt habe ich bereits einige Worte verloren. Mir ist das zwar zu viel krasse Gewalt; aber die Art, wie man Worf einführt, ist schon echt stark. Nicht besonders intelligent scheint es mir aber zu sein, einen möglichen Informanten sofort zu töten, ohne ihn vorher wenigstens einmal zu verhören. An dieser Stelle ist den Autoren leider die Unlogik von Worfs Agieren entgangen.
Und was soll man zu Michael Dorn sagen? Der Mann war 69 Jahre alt, als diese Szenen gedreht wurden. Ich weiß nicht, wie viel er hier selbst choreografiert hat, aber es ist auch so offenkundig: Dorn ist verdammt fit geblieben und wirkt auch mindestens zehn Jahre jünger. Vielleicht habe ich auch deswegen ein kleines Problem mit Worfs weißen Haaren in “Picard”. Es passt einfach nicht so recht zu Dorns junggebliebenem Gesicht. Und natürlich hat Worf mit 61 Jahren im Normalfall auch noch gut die Hälfte seines Lebens (oder noch mehr) vor sich. Sicherlich kann man auch im mittleren Alter schon ergrauen, aber weißhaarige Klingonen waren bisher meistens über 100 Jahre alt. Nichtsdestotrotz sieht Worf hier schon verdammt cool aus.
Als jemand, der TNG und DS9 geliebt hat, freue ich mich ganz besonders über Worfs Rückkehr. Es ist ein ganz besonderes Gefühl. Worf hat mich quasi meine gesamte Teenagerzeit begleitet, er gehört folglich zu meinen absoluten Lieblingscharakteren in “Star Trek”. Qapla’, Worf! Schön, dass du wieder da bist!” 💪🏿
Sneed & Vadic
Zum Abschluss der Charakter-Analyse noch ein Blick auf die beiden Bösewichte der Episode: Captain Vadic und der Ferengi Sneed.

Oh ja, Sneed ist wirklich ein Ferengi der alten Schule: gierig, schmierig, skrupellos. Ein echter Widerling. So muss das sein! Aaron Stanford spielt Sneed wirklich exzellent. Die Drogen-Szene hat mich irgendwie an Scarecrow in “Batman Begins” (2005) erinnert.
Ohne zu wissen, wie es auf Ferenginar unter Grand Nagus Rom weiterging, ist es gut zu wissen, dass es immer noch die “alten” Ferengi dort draußen gibt. Ich muss zugeben, dass ich nie ein Freund davon war, die Ferengi-Kultur mit den Werten der Föderation zu reformieren, so wie es am Ende von “Deep Space Nine” angedeutet wurde. Das “Wir sind allen anderen Kulturen moralisch überlegen”-Narrativ der Menschen war mir manchmal dann doch etwas zu viel. Daher freut es mich, dass die klassischen Ferengi wieder zurück sind. Gerne mehr davon (aber bitte ohne Enthauptungen!).

Noch nicht so recht überzeugen konnte mich dagegen der Big Bad der Staffel: Captain Vadic. Sicherlich, Amanda Plummer kann gut schauspielern und auch die Referenzen an das Gebaren von General Chang aus “Star Trek VI: Das unentdeckte Land”, damals gespielt von ihrem Vater Christopher Plummer, sind absolut gelungen.
Nichtsdestotrotz wirkt diese Figur zum aktuellen Zeitpunkt leider noch stark überzeichnet. Und von so etwas bin ich einfach kein Freund. Ich mag dann doch lieber Bösewichte, die zunächst einigermaßen “normal” beziehungsweise zugänglich wirken, dann aber nach und nach ihre dunkle Seite offenbaren. Khan, Gul Dukat, Weyoun oder auch Kai Winn sind hier die Referenzobjekte.
Vadic geht stattdessen gleich in die Vollen, was angesichts von nur zehn Staffelepisoden vielleicht auch sinnvoll sein könnte. Mir war es aber einfach zu viel Zynismus, Madness und Sadismus. Aber auch hier gilt: Die Staffel ist noch jung und es kann sich noch vieles relativieren. Da man ihren Background noch nicht kennt – die Kopfgeldjäger-Story könnte ja auch erfunden sein – verbietet sich natürlich eine Vorverurteilung des Charakters. Den Start fand ich aber bestenfalls leidlich gelungen.
Inszenierung
Da bei “Picard” bezüglich des Regiestuhls das Doppelfolgen-Prinzip gilt, durfte bei “Disengage” erneut Doug Aarniokoski Regie führen.
Das Action-Highlight der Folge ist gewiss die Sequenz, in der die Shrike (hier hätte die deutsche Version besser nicht übersetzen sollen! – “Würger”) die Eleos mit dem Traktorstrahl auf die Titan schleudert. Das ist wirklich eine coole Idee, endlich mal was Neues. Überhaupt können sich die Effekte wieder sehen lassen, wenngleich ich Christopher zustimmen würde, dass die Außenhülle der Titan stellenweise etwas künstlich wirkt. Das hatte man in den vergangenen Jahren schon deutlich authentischer hinbekommen.

Abgesehen davon ist die Folge mal wieder eine sehr runde Sache. Ein besonderes Lob darf man erneut dem Komponisten Stephen Barton aussprechen, dessen Score insbesondere die Beverly-Picard-Szene musikalisch in absolut perfekter Weise begleitet.
Meine einzigen Kritikpunkte sind, wie bereits erwähnt, die exzessive Gewaltdarstellung sowie die Tatsache, dass das Setting oftmals einfach zu dunkel und farblich monoton wirkt. Auch M’talas Prime erinnert zu stark an einige Locations von “Discovery”. Wobei ich das Etablissement, in dem Sneed residiert, aus dieser Kritik herausnehmen möchte. Das sah nämlich echt gut aus.
Episoden-Infos
Serie | Star Trek: Picard |
Episoden-Nummer | 22 (Staffel 3, Folge 2) |
Originaltitel | Disengage |
Deutscher Titel | Abgezogen |
Story & Drehbuch | Christopher Monfette & Sean Tretta |
Regie | Doug Aarniokoski |
US-Erstausstrahlung | 23. Februar 2023 |
DE-Erstausstrahlung | 24. Februar 2023 |
Laufzeit | 49 Minuten |
Datum (In-Universe) | 2401 |
On Screen: Serien-Podcast
Schaut mit uns gemeinsam, holt euch die Redaktion des TrekZone Networks auf die Fernsehcouch! Zu jeder Folge “Picard” gibt es bei uns einen Live-Kommentar. Wir klicken zur selben Zeit auf PLAY, und los geht’s!
Wartet nicht auf DVDs oder Blu-rays, bei uns werdet ihr direkt mit unnützem Wissen, Hintergrundinformationen und wilden Fantheorien versorgt.
On Screen! Unsere Echtzeitbesprechung zu Star Trek: Picard 3×02 “Disengage”
Lasst uns gemeinsam “Disengage” schauen! Holt euch Peter und Christopher ins Haus, um nochmal mit viel unnützem Wissen im Gepäck die zweite Folge der dritten Staffel “Star Trek: Picard” zu gucken. Wir schwärmen und lästern über Lieblingsszenen, analysieren Themen, Anspielungen und Easter Eggs und geben euch auch bemerkenswerte Infos und Triva über die Geschehnisse hinter der Kamera.

Nachreichung: Die Thriller-Serie um einen heimkehrenden Soldaten aus Kriegsgefangenschaft, an die sich Christopher in der Episode nicht erinnern kann, heißt “Homeland“. Und die manische CIA-Agentin aus dieser Serie, die große Ähnlichkeiten zu Raffi Musiker hat, heißt Carrie Mathison (gespielt von Claire Danes).
Erstrezension: Star Trek: Picard 3×02 – “Abgezogen”
Weiter geht’s mit Folge 2 der aktuellen “Picard”-Staffel. Tom Götz geht in die Detailanalyse. Wie immer gilt: SPOILER ahead!
Rezension: “Star Wars – Die Geschichte der Halcyon”
Ein neuer Äraübergreifender Star Wars-Comic.
Kurzrezension: Star Trek: Picard 3×02 – “Disengage”
Das Abenteuer von Admiral Picard und Captain Riker auf der U.S.S. Titan geht weiter. Lest hier unsere spoilerfreie Rezension zu Episode 3×02 “Disengage”.
Was meinen wir mit “spoilerfrei”?
Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen dazu, was “spoilerfrei” bedeutet. Damit ihr selbst entscheiden könnt, ob ihr die Rezension vorab lesen möchtet, machen wir hier transparent, was wir darunter verstehen:
- Wir verraten keine wichtigen und unerwarteten Wendungen der Handlung bzw. Informationen über die fiktiven Welt und ihre Figuren.
- Was im Vorfeld durch Vorschauclips und Trailer gezeigt wird, ist kein Spoiler.
- Was im Cold Open (vor dem Vorspann) bzw. im ersten Akt (bei Episoden ohne Cold Open) passiert, ist kein Spoiler.
- Handwerklichen Aspekte (Schauspiel, Drehbuch, Bühnenbild, Soundtrack, Spezialeffekte) sind keine Spoiler, sofern sie nichts Wichtiges über die Handlung verraten.
Disengage
Die S.S. Eleos mit Picard, Riker und den beiden Crushers an Bord ist einem unbekannten aber vielfach überlegenen Schlachtkreuzer ausgeliefert. Als eine Torpedosalve das angedockte Shuttle der Titan zerstört, verliert die Crew ihre letzte Rückzugsmöglichkeit. Schnell wird klar, dass das Ziel der Angreifenden Jack Crusher ist.
Handlung
In “Disengage” setzen Autoren Christopher Monfette und Sean Tretta die beiden bekannten Storystränge fort. Während im Ryton-System Picard und Co. Bekanntschaft mit Captain Vadic machen, verfolgt Agent Musiker eine Spur, um die Drahtzieher des Anschlages auf M’Talas Prime ausfindig zu machen.

Vorweg: Die äußere Handlung von “Disengage” zeigt wie üblich ein paar kleinere Schwächen. Picards und Rikers Versuche, die Eleos gegen Vadic zu verteidigen sind überraschend wirkungsvoll. Und Shaw scheint sich die ganze Folge nicht entscheiden zu können, ob er Seven vertrauen oder aus dem Verkehr ziehen will. Aber das sind vergleichsweise belanglose Kleinigkeiten, die angesichts des interessanten Kernproblems, das die Episode behandelt, verziehen werden können.
Während die Agentenstory um Raffi nach wie vor eher zweckmäßig vor sich hinplätschert, hat der A-Plot einen klaren Handlungs- und Spannungsbogen. Sowohl die Eleos als auch die Titan sind Captain Vadics Raumer Shrike hofflungslos unterlegen, was die Auslieferung Crushers zu einem wahren Dilemma macht, das vor dem Hintergrund einer tickenden Uhr beantwortet werden muss.
Damit begibt sich “Star Trek: Picard” auch erstmals in Gefilde moralischer Ambivalenz. Denn wie wir bereits im Auftakt der Episode erfahren, hat Jack Crusher einiges auf dem Kerbholz. Außerhalb des Föderationsraumes könnte es tatsächlich legitime Gründe für Strafverfolger und Kopfgeldjäger geben, den jungen Mann festzunehmen.
So müssen direkt zwei Spannungsfelder diskutiert werden: Erstens die utilitaristische Abwägung des Wohles von 500 Besatzungsmitgliedern der Titan gegenüber dem Wohl des einzelnen Jack Crusher. Und zweitens die deontologische Frage, ob es auch außerhalb der eigenen Jurisdiktion geboten ist, einem Kriminellen Asyl gegenüber einer Strafverfolgung zu gewähren, die vermutlich vor inhumanen Strafen nicht zurückschreckt.
Zwar investiert “Disengage” vergleichweise viel Zeit in die Diskussion dieser Dilemmas, zu meiner anfänglichen Verwunderung bleibt sie aber inhaltlich recht oberflächlich. Der Grund dafür ist, dass die vordergründigen moralischen Aspekte von einer persönlich-emotionalen Frage begleitet werden: Picards Verhältnis und Pflichtgefühl gegenüber Jack als Beverlys Sohn.

Die B-Story ist leider erneut eine zähe und vorhersehbare Angelegenheit, deren Hauptzweck darin zu bestehen scheint, einen weiteren Charakter einzuführen. Raffi bewegt sich von einer unerfreulichen Begegnung zur nächsten, wobei der Plot ihrer Handlung von Sackgasse zu Sackgasse mäandert.
Charaktere und Dialoge
Viel wurde darüber geschrieben und erzählt, dass man in Stewarts Spiel die energischen Qualitäten von Captain Picard vermisse. Mit “Disengage” wird klar: Das war eine bewusste Entscheidung von Stewart, nicht Altersmüdigkeit. Mit der wachsenden Bedrohung auf der Eleos ist Picard plötzlich wieder “voll da”. Mit fester Stimme, Umsicht und Entschlossenheit spielt Stewart einen Jean-Luc Picard, der auch einer vermeintlich ausweglosen Lage gewachsen ist.
Von der ersten bis zur letzten Szene bekommen Fans einen Picard, wie ihn viele seit “Nemesis” vermisst haben. Allerdings gibt es diesen Jean-Luc Picard nicht exklusiv. Die zutiefst persönliche Komponente der A-Story gibt Stewart Gelegenheit, auch Picards Verletzlichkeit und inneren Konflikt zu zeigen. In den letzten Szenen der Episode kommuniziert Stewart mit einem Blick mehr, als in manchen minutenlangen Szenen zuvor gesagt wurde.
Die Episode gibt uns auch erstmals Gelegenheit Captain Shaw besser kennenzulernen und einen Eindruck von seinen Entscheidungsprozessen zu gewinnen. Leider komme ich aus der Episode teils verwirrt, teils ernüchtert heraus. Das Gute vorweg: Shaw ist ein kompetenter Captain und gegen Ende der Episode überrascht er mich damit, offenbar für unterschiedliche Eventualitäten Vorkehrungen getroffen zu haben, auch solche, die er vorher kategorisch ausgeschlossen hatte.

Allerdings ist Shaw in dieser Folge als Paragraphenreiter und Utilitarist gezeichnet, der naiv Leben abzählt und gegeneinander rechnet. Das ist eine intellektuell eher unspannende Grundhaltung, die sich leicht aushebeln lässt (Minuspunkte für Will Riker, der das zwar erkennt, aber außer allgemeiner Empörung kein substantielles Argument für eine deontologische Gegenposition vorbringen kann). Wenig glaubwürdig finde ich zudem, dass Seven ihn mit einem Appell an seine Eitelkeit relativ einfach dazu bringen kann, eben diese utilitaristischen Prinzipien in einer frühen Schlüsselszene der Folge über Bord zu werfen.
Ein echtes Highlight ist Amanda Plummer als Captain Vadic, die sie als wahre Psychopathin mit herrlicher Hingabe spielt. Kindlich verspielt, intelligent und sadistisch zugleich ist sie eine tolle Gegenspielerin, die ab der ersten Szene völlig mühelos auf Augenhöhe mit Stewart und Stashwick parliert, wenn nicht gar die Szenen stiehlt. Auch wenn wir wenig über Hintergrund und Motivation der Figur erfahren, ist aber schon nach diesem ersten Auftritt klar, dass Amanda Plummer die beste Besetzung für eine Antagonistin seit Richardo Montalbans Khan ist. Sie kann sicherlich die ein oder andere Unebenheit im Drehbuch überspielen und vergessen machen, wenn es darauf ankommt.
Inszenierung
Wie auch der Pilot wird diese Episode von Douglas Aarniokoski in Szene gesetzt. “Picard” wagt sich erstmals bewusst in eher klassische Gefilde des “Star Trek”-Storytellings und Aarniokoski inszeniert dies unaufgeregt und kompetent. Obwohl das Dilemma interessant und persönlich zugleich ist und vor dem Hintergrund einer tickenden Uhr gelöst werden will, mag sich aber das letzte Quantum Spannung nicht einstellen. Im A-Plot ähnelt “Disengage” damit im Guten wie im Schlechten von der Dramaturgie einer “The Next Generation”- oder “Voyager”-Episode wie keine andere in “Picard”.
Dagegen fällt die B-Handlung auf M’Talas spürbar ab. Raffi geistert durch die immer gleichen Winkel des offenbar winzigen Sets von District 6. Es kommt dabei keinerlei Spannung auf. Ich weiß nicht, ob es objektiv so ist, aber gefühlt verbringt “Disengage” deutlich mehr Zeit auf M’Talas Prime als die erste Episode.

Eine unterwartete Schwachstelle der Folge sind die visuellen Effekte. Zwar hat “Disengage” spektakuläre Ideen, was sich mit modernen Mitteln im Genre umsetzen lässt, aber mit der künstlerischen Umsetzung hadere ich. Ein frühes Beispiel ist die Darstellung eines Traktorstrahls. Statt des üblichen in Streifen changierenden Lichtkegels erscheint er in “Disengage” als elastisch wabernder Wirbel aus übersättigten Wolkenfetzen. Der Effekt wäre einem Fantasy- oder Superheldensetting angemessen, in “Star Trek” empfinde ich ihn als unpassend.
In der diffusen Beleuchtung des Raumdocks und der Warpsterne der ersten Folge fiel mir ein weiteres Problem nicht negativ auf, das in “Disengage” aber ins Auge sticht: “Picard” hat ein Beleuchtungs- und Materialproblem was die Raumschiffe anbelangt. Die Schiffe glänzen unnatürlich stark und es streut zu wenig Licht auf den Oberflächen. Die Hülle der Titan scheint die Beschaffenheit einer blanken Blechbüchse zu haben, die Shrike glänzt wie ein Plastikspielzeug – das wirkt unnatürlich.
Sicherlich weiß niemand von uns, welche optischen Eigenschaften Hightech-Materialen für den Raumschiffbau im 25. Jahrhundert haben werden. Aber der Look von “Picard” hat sich spürbar von der Ästhetik realer NASA-Aufnahmen oder “naturalistischer” Klassiker wie Stanley Kubriks “2001” entfernt und lehnt sich nun stärker an Comicverfilmungen und Videospiele an (Anzeichen dafür fanden sich auch schon in dem Staffel-2-Finale “Farewell”). Das ist im Wesentliche eine Geschmacksfrage. Aber diesem Rezensenten, der auch ansonsten nichts dagegen hätte, wenn “Star Trek” die wissenschaftlichen Aspekte seines Science-Fiction-Settings ernster nehmen würde, gefällt der stilistische Schwenk nicht.
Unabhängig von dieser B-Note muss man der Episode abermals bescheinigen, fantastische Bilder und Klangwelten auf Bildschirm und Boxen zu zaubern. Das Finale der Episode ist zudem ein Versprechen darauf, dass wir nächste Woche noch bedeutend mehr zu staunen haben werden.
Beobachtungen

- Die Eleos ist ein Schiff der Mariposas, der medizinischen Hilfsorganisation, die auf Theresa und Rios zurückgeht.
- Das Shuttle, mit dem Picard und Riker zur Eleos geflogen kamen, hieß Saavik.
- Sneed ist gut vernetzt. Laut Computer-Anzeige gehören zu seinen Kontakten Morn, Quark, Brunt und Captain Okona
- Sneed wird von von Aaron Stanford gespielt. Der Schauspieler ist bekannt als James Cole aus “12 Monkeys”, der Serie von Terry Matalas, in der er gemeinsam mit Todd Stashwick (Captain Shaw) vor der Kamera stand.
- James Cole ist auch einer der Decknamen unter denen Jack Crusher operiert.
- Wo wir gerade dabei sind: “Splinter” ist nicht nur der Name des speziellen “Cocktails” von Sneed, sondern auch die umgangssprachliche Bezeichnung der Zeitreisetechnologie aus “12 Monkeys”.
- Die Ankunft der Titan-A erinnert stark an das Eintreffen der Enterprise-E bei der Schlacht von Sektor 001 in “First Contact“
- Vadic ist gut informiert. Es tun sich direkt mehrere Fragen auf. Nicht zuletzt, warum sie im Gegensatz zu ihrer Crew keine schwarze Kutte mit weißer Vogelmaske trägt.
- Raffi scheint eine echte Todessehnsucht zu haben. Die zweite Episode in Folge fragt sie sich wenig subtil und sehr aggressiv in der Unterwelt durch. Ist das die Idee der Sternenflotte von Geheimdienstarbeit?
- Hat niemand Jack Crusher gescannt, als er an Bord kam? Verschiedene Aspekte der Handlung von “Disengage” hätte man sehr viel einfacher und schneller auflösen können, wenn jemand mal einen Tricorder zur Hand genommen hätte.
- Das Ende der Folge verwundert mich ein wenig, weil sie den Eindruck erweckt, Shaw hätte sich und die Brückencrew bewusst auf diesen Ausgang der Ereignisse vorbereitet. Dabei hatte er zuvor Picard eine Abfuhr erteilte, als dieser mit ihm über genau diese Möglichkeit sprechen wollte. Ich unterstelle, dass Shaw sehr wohl mit allen Eventualitäten geplant hat und Picard einfach auflaufen ließ.
Mit Rücksicht auf die Leser:innen, die die Episoden noch nicht gesehen haben, bitten wir in den Kommentaren zu diesem Beitrag auf Spoiler zu verzichten. Danke!
On Screen: Serien-Podcast
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Rezension: “Die tausend Leben des Ardor Benn”
Ein neuer Fantasy-Roman bei uns im Review.
Inhalt (Klappentext)
Gentleman. Gauner. Legende. Ardor Benn ist kein gewöhnlicher Dieb. Er ist gerissen, ehrgeizig und ein Meister des komplexen Coups. Sich selbst bezeichnet er gerne als “außergewöhnlichen Gentleman-Gauner”. Als ein Priester ihn für den bislang riskantesten Job seiner Karriere anheuert, weiß Ardor nur zu gut, dass er dafür mehr als Schlagfertigkeit und Taschenspielertricks benötigt. Er stellt daher eine illustere Truppe aus Fälschern, Täuschern, Intriganten und Dieben zusammen und macht sich daran, den mächtigsten König zu bestehlen, den das Reich je gesehen hat. Doch schon bald wird klar, dass hier mehr auf dem Spiel steht als Ruhm und Ehre – Ardor und seine Leute könnten die letzte Hoffnung der gesamten Menschheit sein.
Kritik
Mit den “Tausend Leben des Ardor Benn” wird ein neues Fantasyabenteuer vorgelegt, das mit 800 Seiten recht massiv geworden ist. Hier wird uns eine neue Fantasywelt präsentiert, die auf einigen Inseln spielt. Und wie in anderen Fantasywelten, so gibt es auch hier einige, nunja, magische Sachen. Der beste Stoff, den es in der Welt von Ardor gibt ist das sogenannte Drachenmalm. Das wird aus den Überresten von Drachen hergestellt (oder anderen Dingen) und hat unterschiedliche Eigenschaften. Aus Drachenflügeln wird z.B. Federmalm gewonnen, das einen schweben lässt, wobei es immer sogenannte Malmsphären gibt, die sich als Kugel um den Anwender schließen. Und diesen Malm gibt es in unterschiedlichen Ausführungen, was im Laufe der Geschichte noch wichtig wird.
In diese Welt kommt Ardor Benn, der selbsternannte Meister von List und Tücke. Eigentlich will er nur ein paar Diebeszüge machen, wird aber von einem Priester für eine sehr wichtige Mission angeheuert, die sich zu etwas entwickelt, womit er sicher nicht gerettet hätte. An dieser Stelle will ich zu einigen Sachen der Story nicht zu sehr ins Detail gehen, da hier doch ein paar überraschende Wendungen drin sind, die man selber erleben sollte Natürlich erst, wenn die Story in Gang gekommen ist, womit wir auch schon bei den Mankos wären.
Denn vor allem zu Beginn braucht man etwas Sitzfleisch (respektive Lesefleisch). So richtig Fahrt nimmt die Handlung erst nach ca. 200 bis 300 Seiten auf, dann wird sie aber richtig gut. Keine Sorge, es sind dann immer noch über 500 Seiten da, die richtig gut abgehen, sofern man sich eben nicht vom Beginn etwas hat abschrecken lassen. Und das dieser Beginn nicht funktioniert, liegt an zwei Dingen.
Zum einen werden ein paar altbekannte Klischees bedient. So heuern Ardor und sein Partner Raek eine Diebin an, die ihnen helfen soll und es kommt, wie es kommen muss: Sie und Ardor kommen sich näher und schmachten sich fast von Beginn an an. Das ist halt so völlig Klischee, das man hier nur die Augen verdrehen kann. Auch das Ende und die Trennung wirkt an der Stelle dann etwas abrupt und zerstört eigentlich einiges an Charakterentwicklung, die im Laufe des Bandes aufgebaut wurde. Aber dazu kommen wir gleich noch im Detail.
Der zweite Punkt ist, das unser Meister von List und Tücke eben aus dem Bauch heraus agiert und dabei in einige lustige Situationen gerät. Vor allem zu Beginn des Buches ist halt offensichtlich, das man hier eher die Comedy-Schiene bedienen will und Situationen präsentiert, aus denen Ardor sich herausquatschen muss. Nun funktioniert Humor aber auf den geschriebenen Seiten nicht so gut wie etwa im Fernsehen, da muss man schon das Kaliber eines Douglas Adams auffahren. Dies gelingt hier leider nicht, auch wenn man sich einige der hier gezeigten Situationen durchaus bildlich vorstellen und eruieren kann, wie sie etwa auf der Mattscheibe wirken würden.
Das hat zum Glück auch der Autor gemerkt und schwenkt eben nach diesem erwähnten Beginn um. Zwar ist Ardor immer noch flapsig unterwegs, es ist dann aber harmonischer in die Welt eingefügt als zuvor. Und dann konzentriert man sich im weiteren Verlauf der Geschichte auf das, was man in einem Buch machen sollte: Charakterszenen. Hier entwickelt sich vor allem der Titelgebende Ardor von einem Gauner zu einem verantwortungsbewussten Mann, was man ihm auch in jeder Sekunde abnimmt, immerhin verfolgt man dies ja live. Doch auch seine Weggefährten bekommen genug Szenen spendiert, in denen sie glänzen können. Ja, selbst die Bösewichte bekommen, wenn auch nicht derart tief wie unsere Helden aber immerhin, etwas Profil verpasst.
Zudem werden im Setting gute und abwechslungsreiche Schauplätze eingeführt, die schon fast zwei Bände hätten füllen können. Und dann gibt es da auch noch die Verbindung zu Ardors Vergangenheit, die ebenso zu gefallen weiß und hier nicht gespoilert werden soll. Denn ebenso wie das Ende ist das durchaus eines der Highlights der Geschichte. Wobei wir den Bogen zum Ende noch schlagen müssen.
Denn dort gibt es dann wieder ein paar Schnitzer. Zum einen eben das erwähnte Ende mit Quarrah und zum anderen eine Szene, die an die Konsequenzlosigkeit anderer großer Franchises (Hallo, Marvel!) erinnert. Ohne zuviel zu verraten, passiert etwas, das Ardor etwas aus der Bahn wirft, ihm aber hilft, zu sich zu finden. Leider wird das dann am Ende wieder zunichte gemacht und negiert. Nicht falsch verstehen, persönlich finde ich es gut, das man diesen Weg gegangen ist, ist die Charakterdynamik zwischen Raek und Ardor doch mit das Beste an dem Band, es hinterlässt aber durchaus einen schalen Nachgeschmack.