Podcast/Interview
In dieser Episode des Podcasts “Zehn Vorne” unterhalten wir uns mit dem Komponisten Frederik Wiedmann darüber, wie er zu “Star Trek” kam und welche Einflüsse ihn und den “Picard”-Soundtrack prägten. Er berichtet von dem spannenden Rennen gegen die Zeit, in dem jene wunderbare Musik zur dritten Staffel entstand – und von den musikalischen Themen, die er und Stephen Barton komponieren und arrangieren durften.
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Mitschrift des Interviews (gekürzt)
Michael Schuh (TrekZone.de): Hallo und herzlich willkommen!
Frederik Wiedmann: Hallo, alle zusammen. Vielen Dank, dass ihr mich ins “Studio” eingeladen habt.
Martin Ackermann (TrekZone.de): Aber gerne doch.
Michael Schuh (TrekZone.de): Wir freuen uns, dass du da bist.
Martin Ackermann (TrekZone.de): Frederik, du warst in der Schweiz. Wie war es im Urlaub?
Frederik Wiedmann: Im Urlaub war es sehr schön. Ich kann eigentlich relativ wenig aus meinem Studio raus, weil meine Jobs sich ständig überlappen. Ich zwing mich dann doch, im Sommer für zehn Tage mit der Familie irgendwohin zu fahren, einfach um eine Studio- und Screen-Pause zu machen, weil ich sonst wirklich nur die ganze Zeit vorm Computer sitze.
Michael Schuh (TrekZone.de): Konntest du ein bisschen Energie tanken?
Frederik Wiedmann: Ja, absolut. Nicht gearbeitet für zehn Tage.
Michael Schuh (TrekZone.de): Da sind wir schon bei der ersten Frage: Wie muss man sich als Laie denn einen Arbeitsalltag als Komponist vorstellen?
Frederik Wiedmann: Als Komponist für Filme ist man grundsätzlich selbstständig. Das heißt, du entscheidest quasi selbst, wann du ins Studio gehst, du wieder aufhörst und wie lange du an einem Musikstück arbeitest; und wann du es dann als fertig erklärst. In meinem Fall ist es so: Ich gehe um circa acht ins Studio, wenn die Kinder in der Schule sind und höre circa 3 Uhr nachmittags wieder auf, wenn sie wieder zu Hause sind. Dann kann ich mit denen ein bisschen Zeit verbringen, bei Hausaufgaben mithelfen. Ich fahre sie zu sämtlichen Aktivitäten, wie Basketball und Eislaufen, und weiß der Geier, was da alles passiert. Und meine Frau auch. Oft gehe ich abends um acht nochmals ins Studio nach dem Abendessen, noch mal bis elf oder so, um Kleinigkeiten zu machen. Bis dahin ist dann mein Kopf mehr oder weniger müde. Ich mache dann ja so Sachen, die das Gehirn nicht so anfordern. Das ist ungefähr mein Alltag. Ich versuche, am Wochenende nicht zu arbeiten, eben weil ich auch gerne mit meiner Familie zusammen bin.
Michael Schuh (TrekZone.de): An wie vielen Projekten arbeitest du in der Regel gleichzeitig – oder arbeitest du nacheinander weg?
Frederik Wiedmann: In den letzten paar Jahren gab es immer circa drei Serien, die gleichzeitig laufen. Und dann zusätzlich noch ein Film; also, vielleicht, fünf/sechs Filme pro Jahr während meiner Serien. Ist relativ viel. Man muss sehr diszipliniert, jeden Tag sehr effizient arbeiten. Ansonsten kommst du nicht an die Zielstrecke. Ich habe meinen Scheduler [Planer], ich gucke da jeden Tag rauf: Okay, ich muss noch so-und-so-viele Minuten heute komponieren, ansonsten falle ich zurück. Man braucht ungeheuer Disziplin und auch einfach die Fähigkeit, die Musik zu komponieren, selbst wenn’s jetzt gerade nicht so inspirierend ist. In der Kunst ist es ja oft so, dass, wenn man etwas kreiert, sitzt man da und denkt sich: Wie fange ich denn jetzt an? Was ist meine erste Note? Dieser bekannte “Writer’s Block” [Schreibblockade]. Den kann ich mir eigentlich nicht erlauben. Ich komponiere, ob ich jetzt inspiriert bin oder nicht. Und im Laufe der Zeit kriegt man das so ein bisschen raus, wie man das macht, ohne dass man noch stundenlang hier sitzen muss und das Ganze überdenkt; mit Themen und Harmonien. Das ist dann einfach nur “Go Time!” [Los geht’s!]
Michael Schuh (TrekZone.de): Also, man “mathematikt” dann etwas.
Frederik Wiedmann: Ja genau, auf jeden Fall.
Michael Schuh (TrekZone.de): Ja, Schriftsteller haben manchmal Schreibblockaden. Musiker mit Sicherheit auch.
Frederik Wiedmann: Absolut.
Michael Schuh (TrekZone.de): Wie gehst du damit um? Hörst du dann andere Stücke, oder…?
Frederik Wiedmann: Ja. Oft ist es so, dass ich dann einfach anfangen muss. Es gibt da so eine lustige Anekdote, die mir mal ein Komponist erzählte. Ich habe leider vergessen, wer das war. Aber er hat mir gesagt … ich sage es mal auf Englisch: just start with anything, and then spend an hour deshittifying it! [Einfach mit irgendetwas anfangen und dann eine Stunde damit verbringen, es zu entmisten!] Und ich habe mir das irgendwie zu Herzen genommen, denn eigentlich ist an jeder Idee irgendwas Gutes dran. Ja, man muss einfach die Idee erstmal aufs Papier bringen und sich’s dann objektiv anschauen oder anhören, in meinem Fall, und dann sagen: Okay, ist gar nicht so schlecht! Wenn man das jetzt noch hier verändert und da verändert, dann passt es doch eigentlich ganz gut! Das ist oft einfach ein guter Ansatz, dass man einfach mal was macht, auch wenn es jetzt nicht die beste Idee ist, und dann quasi zurückgeht und sagt: Okay, das ist gar nicht so übel, hätte ich jetzt vielleicht nicht gemacht, wenn ich fünf Stunden drüber nachgedacht hätte. Vielleicht kann man ja was daraus machen. Und oft kommt dann aus den ersten Entwürfen eine tolle Idee, die man sonst nicht gehabt hätte.
Michael Schuh (TrekZone.de): Erzähl uns mal, wie dein Werdegang war.
Frederik Wiedmann: Gerne. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und ich wollte, seit ich zwölf Jahre alt bin, Filmkomponist werden. Das war für mich ein ganz früher Wunsch, was eigentlich ungewöhnlich ist. Ich hatte mich total verliebt in die Filmmusik von John Barry, James Horner und Jerry Goldsmith. Als ich so jung war, war damals alles noch anders, da mussten wir CD- und Kassetten-Spieler haben. Man kam an Soundtracks nicht so einfach ran wie heute auf Apple Music oder Spotify. Man musste dafür in den Laden. Und da gab es halt für Soundtracks nur eine kleine Sparte mit einer relativ skurrilen Auswahl. Und wenn man mal was bestellte, dann hat’s Monate gedauert, bis es aus Amerika ankam. Ich war eifriger Soundtrack-Sammler.
Ich war, glaube ich, 17 oder 18, da habe ich den Nachbarn von meiner Freundin kennengelernt, Herrn Nik Reich. Der war zufälligerweise Filmkomponist in Augsburg, wo ich gewohnt habe. Ich konnte gar nicht glauben, dass ich jemanden getroffen hatte – in dieser kleinen Stadt – der so was macht. Ich habe sehr viel Zeit mit ihm im Studio verbracht, einfach auf der Couch, so fly on the wall [Fliege an der Wand], zugeguckt, wie er das macht. Und das war dann so inspirierend für mich, das hat mir den Weg geöffnet. So bekam ich diesen Job mal so richtig in der Praxis zu sehen. So habe mich dann entschieden: Das will ich jetzt machen mit meiner Karriere! Habe mich dann beworben fürs Berklee College of Music in Boston. Bin ich dann direkt nach dem Zivildienst, den hab ich in England gemacht, ich musste fürs Studium ja Englisch lernen, nach Boston gezogen. Hab das Berklee College relativ schnell durchgemacht, denn ich wollte eigentlich sofort arbeiten. Keine Lust, da viele Stunden am College rumzusitzen. Hab sämtliche Credits irgendwie im Vorfeld gemacht, sodass ich ein paar Semester überspringen konnte. So war ich dann nur zwei Jahre in Boston, hab meinen Bachelor bekommen und bin dann sofort nach Los Angeles, Arbeit suchen. Das ist für einen Ausländer gar nicht so einfach. Ich war ein bisschen naiv: Ich komm dahin und hol mir eine Wohnung, einen Assistentenjob und fertig. Aber erstmal wollte mir überhaupt niemand eine Wohnung geben! Weil ich Ausländer war. Ohne Job, ohne Einkommen und nur ein einjähriges Studentenvisum. Ein schwieriger Anfang. Hab auf Sofas von Freunden gepennt für ein paar Monate. Und so weiter.
Irgendwann hat es doch geklappt und ich bekam einen Job als Assistent für den Komponisten John Frizzell. Der hat viel gemacht. Office Space, Beavis and Butt-Head, Dante’s Peak zusammen mit James Dean Howard … und der war damals so ein A-Lister.
Frederik Wiedmann: Bei Frizzell war ich dann Assistent für vier, fünf Jahre, solo. Da hab ich mehr oder weniger alles gelernt. Die Praxis, den ganzen Prozess, wie man am Anfang die Filmmusik entscheidet bis zur Kreation, bis zur Aufnahme. Ich war dabei, wo er große Meetings hatte mit wichtigen Produzenten, die dann Musikstücke von ihm einfach ablehnten. Und dann habe ich zugeschaut, wie er mit so einer Situation umgeht. Eine wirklich super Schule, das aus erster Hand zu erleben! Wenn Warner Brothers sagt: Dieses Stück, da brauchen wir was anderes! Wie reagiert man da als Komponist? Ist man gekränkt, ist man da sauer? Oder macht man es politisch korrekt? Was schlägt man vor als Alternative? Also, das waren für mich die großen Lehrjahre.
Frederik Wiedmann: Am Ende dieser Zeit hat er mir dann geholfen, meinen ersten Film zu bekommen, das Horror-Sequel “Return to House on Haunted Hill”. Die haben einen Komponisten gesucht. Sie riefen bei ihm an. Natürlich haben sie gewusst, dass sie sich ihn nicht leisten konnten. Am Ende sagte John: Ja, du, Freddie kann das super machen, der war bei mir fünf Jahre, der ist bereit, den ersten Film zu machen. Ich mache den Supervisor! Wenn ihr irgendwie Hilfe braucht, bin ich da gerne dabei. Aber er, der macht das für euch bestimmt sehr gut! Und so hab ich meinen ersten Start bekommen als Komponist, mein erstes Soloprojekt. Seitdem hab ich mein eigenes Studio. Ich mach jeden Tag mein Networking, bei jedem Projekt. Schneeball-Effekt. Alles mündet in weitere Projekte. Beispiel: Mein erster Film. Da war ich dann sehr eng verbunden mit den Produzenten, mit dem Bild-Schneider und mit dem Regisseur. Der Regisseur hatte sechs weitere Filme gemacht, die ich alle mitgemacht hab. Der Bild-Schneider hatte drei andere Filme am Start, die ich dann auch mitgemacht hab. Der Produzent, auch weitere Filme. Bei jedem Projekt lernst du dann neue Leute kennen. Und wenn man einen guten Job macht, wenn man nett ist und wenn die Leute gerne Zeit mit dir Zeit im Studio verbringen, dann kriegst du den Anruf. Dann hast du wieder was zu arbeiten. So ging das von Projekt zu Projekt bis heute. Eigentlich war’s seit 2007 relativ busy bei mir. Was ja toll ist.
Martin Ackermann (TrekZone.de): Wie kam es zu “Star Trek: Picard”?
Frederik Wiedmann: Ja, bei “Star Trek” war das so: Das Universum meinte es gut mit mir. Man träumt ja immer davon: Du hast deine Musik im Internet, auf YouTube oder Apple Music und irgendein toller Regisseur findet sie per Zufall und ruft dich an: Hey, ich habe deine Musik gehört, sie ist super, ich brauche dich für den nächsten Film! Ein Traumszenario, was eigentlich nie wirklich vorkommt. Man kennt so Geschichten erfolgreicher Komponisten. Steven Spielberg, der hat John Williams irgendwo gehört und hat ihn dann angerufen. So etwas passiert mir sowieso nie, vor allem nicht heute, bei so viel Musik im Internet … bis mich da mal einer entdeckt!
Aber ich habe einen Anruf bekommen von Terry Matalas, dem Showrunner der dritten Staffel.
Er sagte: Ja, Freddie, wir sind halbwegs durch die dritte Staffel, brauchen unbedingt noch einen Komponisten. Wir haben das ganze Saisonfinale mit deiner Musik von diesem australischen SciFi-Film “Occupation: Rainfall” vor-vertont. Man schneidet ja immer existierende Musik rein; das ist Teil der Schnitt-Prozedur, sodass man ein Gefühl bekommt für die Episode [bevor die offizielle Musik da bzw. fertig ist]. Und die hatten meinen sehr unbekannten Science-Fiction-Soundtrack dieses vier/fünf Jahre alten Alien-Invasion-Films online gefunden. Den hatte ich selbst ins Internet gestellt, es war ein Indie-Projekt.
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