Weiter geht’s mit unserem Feature zum 35-jährigen Jubiläum von TNG. Heute blicken wir zurück auf Folge 21 der ersten Staffel, in welcher die Enterprise den Planeten Minos besucht. Und wo das “Arsenal der Freiheit” auf Picard und seine Leute wartet.
Handlung
Auf der Suche nach der vermissten USS Drake fliegt die Enterprise den Planeten Minos im Lorenze Cluster an. Die Minosianer waren früher als interstellare Waffenhändler bekannt, die in den verheerenden Ersalrope-Kriegen ihre hochentwickelten, autonomen Waffensysteme an beide Kriegsparteien verkauften.
Doch als die Enterprise in den Orbit einschwenkt, können die Sensoren keinerlei Leben auf dem Planeten ausmachen. Seltsamerweise empfängt man dann allerdings eine automatisierte Nachricht, deren Ursprung sich auf der Planetenoberfläche befindet. Bei dieser Nachricht handelt es sich um eine Art holografisches Verkaufsangebot. Der holografische Waffenhändler (Vincent Schiavelli) möchte Captain Picard (Patrick Stewart) das sogenannte Echo Papa 607-Waffensystem schmackhaft machen.
Commander Riker (Jonathan Frakes) beamt daraufhin mit einem Außenteam bestehend aus Data (Brent Spiner) und Yar (Denise Crosby) auf die Oberfläche, um die Sendeeinheit ausfindig zu machen, von der das Signal ausgeht. Auf dem Planeten trifft das Außenteam plötzlich auf Captain Rice (Marco Rodríguez), Kommandant der Drake und alter Akademie-Weggefährte von Riker. Picards Nummer Eins merkt allerdings schnell, dass es sich hierbei lediglich um ein holografisches Duplikat von Rice handelt. Scheinbar wurde die Drake durch irgendetwas vollständig zerstört.
Rice verwandelt sich plötzlich in eine Kampfdrohne und attackiert das Außenteam. Als die Drohne Riker in einem Stasisfeld einschließt, lässt sich Picard gemeinsam mit Dr. Crusher (Gates McFadden) auf die Planetenoberfläche hinunter beamen. Derweil übernimmt Lt. La Forge (LeVar Burton) das Kommando auf der Enterprise.
Zwar gelingt es, Riker aus der Stasis zu befreien, doch das Außenteam wird in weiterer Folge von immer leistungsfähigeren Kampfdrohnen angegriffen. Bei der Flucht stürzen Picard und Crusher in einen unterirdischen Bunker hinab, wodurch die Ärztin lebensgefährlich verletzt wird.
Im Orbit muss sich die Enterprise derweil gegen eine deutlich größere und leistungsfähigere Version des Echo Papa 607 erwehren. Zunächst bleibt dem Schiff nur die Flucht, doch wenig später kehrt La Forge mit der Antriebssektion zum Planeten zurück, um das Außenteam zu retten. Hierbei wird die Enterprise in eine Raumschlacht um Leben und Tod verwickelt, denn die K.I. des 607 scheint zunächst unbesiegbar zu sein […]
Drehbuch & Dramaturgie
Autoren-Quartett
Es ist eher ungewöhnlich, dass das Drehbuch zu einer “Star Trek”-Episode auf vier verschiedene Autoren zurückgeht. Bei “The Arsenal of Freedom” ist das aber tatsächlich der Fall. Die Grundidee für die Story stammt nämlich von Maurice Hurley (1939-2015) und Robert Lewin (1920-2004), während Richard Manning und Hans Beimler den finalen Drehbuchentwurf verfassten.
Schon die Namen der beteiligten Autoren belegen, dass hier einige Autoren-Schwergewichte am Werk waren. Lewin war in seiner langen Karriere als Autor und Produzent u.a. für den Academy Award nominiert. Hans Beimler war an insgesamt 36 “Star Trek”-Episoden beteiligt. An Maurice Hurley mögen sich vielleicht die Geister scheiden, aber den Einfluss, den er in Season 2 als Co-Executive Producer auf die Weiterentwicklung der Serie hatte (Stichwort: Borg!), den sollte man keinesfalls kleinreden.
Story im TOS-Stil
Einer der am häufigsten genannten Kritikpunkte an den frühen TNG-Staffeln ist, dass sich die Serie hinsichtlich ihrer Dramaturgie allzu sehr am “Planet der Woche”-Erzählkonzept von TOS orientierte. Ich muss gestehen, dass ich diesen Vorwurf nie so ganz nachvollziehen konnte. In meinen Augen war es damals nur logisch, die (erste) Live Action-Neuauflage der Originalserie zunächst in ähnlicher Weise zu erzählen. Immerhin wollte man neben einer neuen Generation von Fans damals auch und vor allem die Alt-Trekkies abholen. Von daher kann ich diesen Ansatz absolut verstehen. Gleichwohl musste TNG natürlich auch neue Akzente setzen, was die Serie mit “The Arsenal of Freedom” meiner Ansicht nach aber auch tat. Doch dazu an anderer Stelle mehr.
Jedenfalls transportiert diese Episode eine Erzählatmosphäre, die ich auch an der Originalserie enorm schätze. Die Galaxie wirkt hier noch enorm groß, enorm unerforscht und auch enorm gefährlich. Im weiteren Verlauf der Serie, aber in weiten Teilen auch in “Deep Space Nine”, “Voyager”, “Enterprise” und den neueren Serien, kommt es mir hingegen manchmal so vor, als seien die meisten Ecken der Galaxie bereits gut erforscht. Zudem werden auch angeblich große Distanzen mitunter viel zu schnell zurückgelegt. Während das Universum in TOS eher wie die Schifffahrt im 15. oder 16. Jahrhundert wirkt, ähnelt das Universum der späteren Serien teilweise der globalisierten Welt unserer Zeit, in der man binnen eines Tages relativ unkompliziert mit dem Flugzeug zum anderen Ende der Welt reisen kann. Dadurch geht aber auch ein Teil des “The Final Frontier”-Flairs verloren.
“The Arsenal of Freedom” atmet hingegen den alten TOS-Geist und hat schon deshalb bei mir einen Stein im Brett. Aber auch sonst überzeugt das Drehbuch mit einer für die späten 80er-Jahre richtig starken Dramaturgie. Das beginnt bereits mit der Opening Scene, die den Spannungsbogen mit zwei Mysterien – dem Verschwinden der Drake und dem Verschwinden der Minosianer – gekonnt eröffnet. Von da an nimmt die Folge rasant Fahrt auf, es gibt praktisch keine echten Verschnaufpausen mehr.
Die nach dem ersten Episodendrittel dreigeteilte Struktur der Handlung – zwei Stories auf dem Planeten, eine auf der Enterprise – tut der Episode sichtlich gut. Hinzu kommen für die damalige Zeit ungewöhnlich viele Actionsequenzen. Schon diese machen “Die Waffenhändler” zu einem der (wenigen) Highlights der ersten Staffel. Hinsichtlich der Dramaturgie kann da eigentlich nur noch “Conspiracy” / “Die Verschwörung” (TNG 1×25) mithalten.
Neben der ganzen Action hat die Folge aber auch den ein oder anderen Charaktermoment zu bieten. Und ein gesellschaftskritisches Narrativ, das auf den ersten Blick zwar nicht sehr innovativ erscheinen mag (allen voran für das Science-Fiction-Genre), aber dennoch bis zum heutigen Tage absolut nichts von seiner Relevanz verloren hat.
Plot Holes
Bei allen Lobeshymnen sollen aber auch die diversen Logiklöcher im Drehbuch nicht verschwiegen werden. Und diese treiben mir auch noch heute – nach dem x-ten Rewatch – ein Runzeln auf die Stirn.
Picard auf Außenmission
Da wäre zum einen Picards in meinen Augen sehr fragwürdige Entscheidung, das Schiff mitten in einer Krisensituation zu verlassen, nur weil sein erster Offizier in einem Stasisfeld gefangen ist. Denn es ist weder das erste noch das letzte Mal, dass ein Mitglied eines von Picard entsendeten Außenteams in akute Gefahr gerät. Picard verlässt aber sonst auch (fast) nie die Brücke seines Schiffes. Zudem befinden wir uns hier erst im letzten Drittel der ersten Staffel, was folglich bedeutet, dass Picard seine neue Brückencrew noch nicht wirklich gut kennt. In einer dritten, vierten oder fünften Staffel wäre ich hier mitgegangen. Aber die Crew ist hier eigentlich noch sehr neu, jung und unerfahren, sodass es eigentlich angebracht gewesen wäre, dass wenigstens die erfahreneren Offiziere Data oder Yar – beide höherrangig als La Forge – im Gegenzug aufs Schiff zurückkehren. Denn Picard ist eigentlich schlau genug, um von den Einzelvorfällen auf das große Ganze schließen zu können: (1.) Die als Waffenhändler bekannten Minosianer sind spurlos verschwunden. (2.) Das Raumschiff USS Drake ist auf Minos spurlos verschwunden. (3.) Das Enterprise-Außenteam wurde von einer hochentwickelten Kampfdrohne angegriffen. (4.) Die Minosianer haben auch interstellare Waffensysteme verkauft. Ergo besteht auch eine reelle Gefahr für die Enterprise im Orbit.
Es liegt also auf der Hand, dass Picards Entscheidung, in einer solchen Lage das Schiff zu verlassen, primär der Logik des Drehbuchs und nicht der Logik der Figur geschuldet ist. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens, um den Charakter La Forge in den Kommandosessel zu bringen. Zweitens, um eine Zweierkonstellation mit Dr. Crusher zu ermöglichen. Dass Picards Entscheidung nicht unbedingt rational ist, merkt man dem Drehbuch indes auch an; nämlich an der Stelle, an der Picard Trois Einwand einfach ohne (wenigstens eine kurze) Begründung abbügelt.
Aber gut, das Plot Hole ist zwar groß, aber es ermöglicht eben auch eine spannende Story mit zwei respektive drei verschiedenen Handlungssträngen. Geschenkt!
Wenn du autonome Waffensysteme bei Wish bestellst
Da fällt das zweite Plot Hole dann doch deutlich mehr ins Gewicht. Und das ist das vom holografischen Waffenhändler so angepriesene Echo Papa 607-Waffensystem. Dieses soll ja angeblich die Ersalrope-Kriege entschieden und zugleich seine eigenen Erschaffer, die Minosianer, ausgelöscht haben. Ach ja, der “leichte Kreuzer” USS Drake (nicht die Lollipop, die ist nämlich “ein gutes Schiff”! 😉) musste auch dran glauben.
Aber mal ehrlich, das 607 wirkt in dieser Episode stellenweise enorm ineffektiv. Und damit meine ich nicht nur die – für “Star Trek” so typische – Merkwürdigkeit, dass Strahlenwaffen weniger Zerstörungskraft haben als zeitgenössische Projektilwaffen. Hier reichen nämlich sogar Steine, Bäume und deren Blätter als Deckung. Mein Problem mit diesem autonomen Waffensystem bezieht sich viel mehr auf die fehlende Ziel- und Treffsicherheit der Einheit. Diese dürfte hier nämlich – zumindest was die Einheiten auf der Oberfläche betrifft – gegen Null tendieren. Im Orbit sieht es derweil wieder etwas anders aus.
Nun gut, das ist eben auch wieder dem Drehbuch geschuldet. Aber es wirkt eben total unglaubwürdig. Diese K.I. ist zwar künstlich, aber keinesfalls intelligent. Die Waffenschmiede der Minosianer war scheinbar das “Wish” des Alpha-Quadranten. Aber wie konnte das 607 dann eigentlich die Minosianer auslöschen?
Das dritte Plot Hole ist zwar nur ein ganz kleines, aber es stört mich einfach jedes Mal wieder aufs Neue. “Verdammt Data, nimm‘ doch bitte Crushers MedKit mit, wenn du zu ihr und Picard nach unten springst!!!” Aber nein, Data hat nur seinen Tricorder dabei. Damit kann er leider nur diagnostizieren, nicht aber auch erste Hilfe leisten. Vor meinem geistigen Auge wirft ihm Riker den Arztkoffer eben später nach. Aber dieses Logikloch wäre doch wirklich vermeidbar gewesen.
Ach ja, den Chefingenieur hätte ich in einer Gefechtssituation an Geordis Stelle auch nicht auf die Untertassensektion beordert, während ich selbst mit der Antriebssektion in die Schlacht ziehe. Will man da nicht die besten Leute auf ihren Posten haben?
Charaktere
“The Arsenal of Freedom” hat auch einige starke Charaktermomente zu bieten.
Geordi La Forge
Die beste Entwicklung nimmt in dieser Folge ohne jeden Zweifel Geordi, der hier erstmals Führungsqualität zeigen muss und an seiner schweren Aufgabe dann auch wächst. Das Drehbuch transportiert wirklich in hervorragender Weise, wie Geordi vermeintlich an dieser Verantwortung zu zerbrechen droht, dann aber über sich hinauswächst und als gereifte Person aus der Episode herausgeht. Zweifellos dürfte dieses Ereignis – neben Geordis fachlicher Expertise natürlich – Picard dazu veranlasst haben, ihm wenig später das Kommando im Maschinenraum zu übertragen. Wobei diese Beförderung Segen und Fluch zugleich ist, denn Geordi im Captain’s Chair ist anschließend leider Mangelware. Erst in “Relics” / “Besuch von der alten Enterprise” (TNG 6×04) und in “Voyager” (VOY 6×05 “Timeless” / “Temporale Paradoxie”) tritt La Forge wieder als Kommandant in Erscheinung – und das aber leider auch nur am Rande.
Womöglich wird die dritte Staffel von “Picard” diesen in “The Arsenal of Freedom” begonnenen Handlungsstrang endlich fortführen, etwa wenn wir – so die Ankündigung – mehr zu Geordis Karriere (Commodore La Forge!) nach “Star Trek: Nemesis” erfahren.
Als ich die Episode Mitte der 90er als Kind das erste Mal sah, dachte ich tatsächlich, Geordi würde das Kommando an Chefingenieur Logan (Vyto Ruginis) übergeben. In meinen Augen belegt das wiederum, dass der Geordi-Arc an dieser Stelle wirklich sehr glaubwürdig und emotionalisierend geschrieben ist. Schon allein deshalb hat die Episode eine überdurchschnittliche Wertung verdient.
Dass La Forge seinen arroganten Konkurrenten wenig später auch als Chefingenieur ablösen wird, verleiht der Szene nachträglich eine zusätzliche (damals aber wohl unbeabsichtigte) Portion Ironie. Es ist aber zugleich auch mein einziger Kritikpunkt am Geordi-Arc: Warum müssen Figuren wie Lt. Logan eigentlich immer so klischeehaft arschig geschrieben sein? Diese Konstellation hätte vielleicht auch ohne einen solchen Stereotyp funktioniert.
Troi & Worf
Ich glaube, man tut der Figur der Deanna Troi (Marina Sirtis) kein Unrecht, wenn man behauptet, dieser Charakter sei in den ersten Episoden der Serie maximal klischeehaft eingeführt worden. Gewiss, als Empathin ist sie eine sehr sinnliche Frau. Man kann es aber auch übertreiben. Insbesondere in der Pilotepisode war hier das Maß des Erträglichen mitunter überschritten worden.
Im weiteren Verlauf der ersten Staffel konnte man dann aber langsam erahnen, warum die neue Enterprise auch eine Psychologin an Bord hat. In “The Arsenal of Freedom” darf Troi dann auch endlich unter Beweis stellen, welchen Mehrwert sie für die gesamte Crew hat. Ihr Gespräch mit Geordi im Ready Room überzeugt jedenfalls. Umso unverständlicher ist es für mich, dass man Troi nach dieser Szene komplett aus der Story eliminiert hat, da sie nach der Schiffstrennung auf der Untertassensektion verbleibt. Mag sein, dass ihr Job mit dem Vier-Augen-Gespräch im Bereitschaftsraum eigentlich getan ist. Aber an Geordis Stelle hätte ich sie trotzdem mitgenommen. Man weiß ja nie, was einen auf fremden Planeten so erwartet.
Und auch Worf (Michael Dorn) darf in dieser Episode erstmals in einer Krisensituation die taktische Station übernehmen. Ähnlich wie bei La Forge liegt hier also eine Art Foreshadowing seiner künftigen Rolle in der Serie vor.
Picard & Crusher
Eine durchaus interessante Konstellation findet sich derweil auf der Planetenoberfläche. Picard und Crusher stürzen in einen unterirdischen Gebäudekomplex ab, wobei die Ärztin der Enterprise lebensgefährlich verletzt wird. Auch wenn diese C-Story einen eher erwartbaren Gang nimmt, erfahren wir hie erstmals neue Details aus Dr. Crushers Vergangenheit. So war es ihre Großmutter, eine mutige Kolonistin, die sie zum Ergreifen des Arztberufs animierte. Crushers “Nana”, Felisa Howard, spielte dann später noch in der eher unrühmlichen Episode “Sub Rosa” / “Ronin” (TNG 7×14) eine prominente Rolle.
Leider hat man es auch hier versäumt, der bis heute irgendwie undurchsichtigen privaten Beziehung zwischen Picard und Crusher noch mehr Tiefe zu verleihen. Dabei wäre diese Konstellation – ähnlich wie in “The High Ground” / “Terror auf Rutia Vier” (TNG 3×12) und “Attached” / “Kontakte” (TNG 7×08) – eigentlich prädestiniert dafür gewesen. Robert Lewin hatte wohl in der Tat vor, eine romantische Beziehung zwischen Picard und Crusher in die Handlung einzubauen, wurde dann aber von Gene Roddenberry und Maurice Hurley ausgebremst. Eventuell war das sogar der Grund, weshalb Levin die Serie kurz darauf verließ.
Der Waffenverkäufer
Der namenlose Waffenverkäufer wurde vom damals recht bekannten Charakterdarsteller Vincent Schiavelli (1948-2005) gespielt. Dieser verbreitet allein schon aufgrund seines markanten Äußeren einen gewissen Grusel-Faktor, was wohl auch der Grund gewesen sein dürfte, weshalb man ihn damals für diese exzentrisch angelegte Rolle gecastet hat. Zu seinen bekanntesten Filmrollen zählen “Einer flog über das Kuckucksnest” (1975, mit Louise Fletcher), “Ghost – Nachricht von Sam” (1990, mit Whoopi Goldberg) und “Batmans Rückkehr” (1992).
Als mysteriöser Antagonist bleibt der Waffenhändler aber leider etwas blass. Das ist zumindest mein Eindruck, der auch dem Umstand geschuldet ist, dass mit einem Mann wie Vincent Schiavelli hier vielleicht noch etwas mehr inhaltliche und charakterliche Tiefe möglich gewesen wäre. Ein weiterer Schwachpunkt der Episode ist nämlich der, dass die Minosianer unter dem Strich doch etwas zu oberflächlich dargestellt werden. “Show, don’t tell!” war also auch schon vor mehr als 30 Jahren ein Thema in “Star Trek”.
Gesellschaftskommentar
“The Arsenal of Freedom” erzählt gewiss eine Geschichte, die man im Science-Fiction-Genre schon des Öfteren gesehen oder gelesen hat: Die Menschen (oder eben Außerirdische) erschaffen (intelligente) Massenvernichtungswaffen, die irgendwann außer Kontrolle geraten und ihre Erschaffer auslöschen. Egal ob “Terminator” (1984), “The Orville” (seit 2017) oder eben “Star Trek: The Next Generation” – diese Erzählung ist äußerst beliebt und wird in regelmäßigen Abständen neu aufgelegt, in der Regel mit einem zeitgenössischen Update. Und trotzdem ist “Die Waffenhändler” nicht einfach nur eine gewöhnliche Folge für mich.
Das liegt vor allem daran, dass diese Episode heute – knapp 35 Jahre später – sogar noch “aktueller” ist als damals im Jahr 1988.
Zur Erinnerung: In Ronald Reagans erster Amtszeit (1981-1984) war die US-Außenpolitik durch die sog. “Reagan-Doktrin” geprägt, zu der auch das Credo “Frieden durch Stärke” zählte. Darauf spielt der Episodentitel auch an. Washington hielt Anfang der 80er an seinem Programm der Strategic Defense Initiative (SDI) fest, erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts kam es zu neuerlichen Abrüstungsprogrammen. Interessanterweise fällt die Entstehung des Drehbuchs genau in die Zeit, in der ein neuerlicher Wandel in der Rüstungspolitik stattfand. Am 8. Dezember 1987 wurde der INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) unterzeichnet, also nur wenige Wochen, bevor der finale Drehbuchentwurf für “The Arsenal of Freedom” (22. Januar 1988) vorlag. Die Episoden-Message selbst dürfte aber sicherlich noch durch die “Reagan-Doktrin” sowie die Vorkommnisse des 26. Septembers 1983 beeinflusst worden sein.
Doch auch im Jahr 2022 ist “The Arsenal of Freedom” immer noch brandaktuell. Und damit meine ich nicht nur den Aspekt der autonomen Waffensysteme, sondern die grundsätzliche Frage, die hier aufgeworfen wird: Garantiert überlegene Feuerkraft wirklich Frieden? Leider entschärft die deutsche Fassung an einigen Stellen (mal wieder) in paternalistischer Weise die Dialogzeilen des Originals (s.u.). Es könnte ja zu kritisch aufgefasst werden?
“Welcome to Minos, the arsenal of freedom. […] Here on Minos, where we live by the motto ‘peace through superior firepower’. […] To be totally armed is to be totally secure.”
“Willkommen auf Minos, dem Arsenal der Freiheit. […] Wir auf Minos, wo wir nach dem Motto leben: ‘Frieden durch größere Feuerkraft’. […] Eine gute Bewaffnung ist die beste Versicherung.”
Minosianischer Waffenhändler (Hologramm)
Sicherlich erinnert das Echo Papa 607 heute zunächst an autonome Waffensysteme, wie etwa die MQ-9 Reaper. Aber der größte Fehler, den die Minosianer begangen haben, war ihre naive Vorstellung zu glauben, dass sie beide Kriegsparteien in den Ersalrope-Kriegen mit Waffen beliefern können, ohne irgendwann selbst in diesen Konflikt hineingezogen zu werden. “Die Waffenhändler” kritisiert meiner Meinung nach also nicht nur die Existenz von Massenvernichtungswaffen oder autonomen Waffensystemen, sondern vor allem auch den Waffenhandel. Die Botschaft: Wer die Konflikte anderer ausnutzt, um damit Profit zu machen, wird irgendwann selbst zum Opfer seiner eigenen Waffen werden.
Und in dieser latent mitschwingenden Botschaft war die Episode in der Tat prophetisch. Ein Beispiel: Als die Sowjetunion 1979 in Afghanistan einmarschierte, unterstützte der Westen – allen voran die USA – die Mudschaheddin mit Waffenlieferungen. Das sollte dem Westen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 später allerdings auf die Füße fallen.
Im Rahmen meines jüngsten Rewatchs der Episode vor ein paar Tagen (für diese Review) ließ ich mir noch einmal einige Zitate (s.o.) und auch den Episodentitel etwas ausführlicher durch den Kopf gehen. Zwar ist auch der deutsche Titel passend gewählt; er ignoriert aber (mal wieder) die Ironie, die im Originaltitel steckt: “The Arsenal of Freedom” – “Das Arsenal der Freiheit”. Ist das nicht vielleicht sogar ein Oxymoron?
Der holografische Waffenhändler will seinen potentiellen Kunden nämlich suggerieren, dass Waffen die Grundlage für Frieden und Sicherheit sind – und somit letztendlich auch für Freiheit. Das Schicksal der Minosianer zeigt allerdings auf, dass dies eine tödliche Fehleinschätzung gewesen ist. Ihr Motto erweist sich als ihr Todesurteil.
Nun bin ich gewiss kein radikaler Pazifist, denn ich halte eine gewisse militärische Abschreckungsstrategie der demokratischen Staaten gegenüber autoritären Regime leider für ein notwendiges Übel. Und das auch nicht erst seit dem Februar dieses Jahres. Man sollte sich aber auf der anderen Seite stets vor Augen führen, dass dies ein Übel ist. Und dass durchaus die Gefahr bestehen kann, in eine gefährliche Rüstungsspirale zu geraten, die auch in einem Krieg münden kann. Das Hochjubeln von zerstörerischen Waffensystemen werde ich daher niemals nachvollziehen können. Aber genau das geschieht derzeit mancherorts wieder – auch hierzulande. Und daran hat mich der minosianische Waffenhändler auch prompt erinnert.
Regelrechte Magenkrämpfe bekomme ich jedenfalls, wenn mir jemand (in der Regel Politiker und Journalisten) erzählen möchte, dass “schwere Waffen” Konflikte nicht eskalieren lassen, sondern diese nur befrieden. Oder noch schlimmer: Wenn jemand die undifferenzierte Behauptung aufstellt, dass “Waffen helfen, Leben zu retten.” Das ist nämlich eine sehr einseitige und auch zynische Betrachtung. Für die eine Seite mag das vielleicht zutreffen, wobei es auch Dinge wie “Friendly Fire” und “zivile Kollateralschäden” gibt. Es negiert aber auch die Tatsache, dass Waffen zuvorderst dazu da sind, um Menschen zu verletzen oder sogar zu töten. Das ist die bittere Wahrheit, die man angesichts des Credos “Die Menschenwürde ist unantastbar” einfach nicht beiseiteschieben darf!
“Ihr armen Narren! Eure eigene Errungenschaft hat euch umgebracht.”
Captain Picard zum minosianischen Hologramm
Die zentrale Botschaft von “The Arsenal of Freedom” ist in meinen Augen also nicht einfach nur eine Kritik an Aufrüstung oder Abschreckung. Nein, die Message der Episode ist viel tiefgründiger: Gebt euch nicht dem fatalen Irrtum hin, zu glauben, dass sich Kriege kontrollieren lassen. Dass “überlegene Feuerkraft” Frieden schafft! Am Ende haben die Minosianer die Erselrope-Kriege mit ihren Waffenlieferungen nämlich wohl so angeheizt, dass sie auch räumlich eskalierten. Und die Minosianern mit in den Abgrund rissen.
Sicherlich, das ist hier nur eine Science-Fiction-Geschichte. Aber ist die hier aufgeworfene These, dass sich bewaffnete Konflikte am Ende nie wirklich kontrollieren lassen, nicht auch historisch sehr gut belegt?
Inszenierung
Den Spannungsbogen der Episode habe ich an anderer Stelle bereits überschwänglich gelobt. Aber auch die visuelle Inszenierung der Folge, die vom “Star Trek”-Regie-Urgestein Les Landau (59 Credits!) überwacht wurde, überzeugt auf breiter Linie. Hierbei muss man natürlich die Umstände der späten 80er-Jahre berücksichtigen, unter denen diese Episode entstanden ist.
Während die Action-Sequenzen und Spezialeffekte für die damalige Zeit sicherlich von höherer Kategorie waren, fällt heute – insbesondere seit dem Erscheinen der Remastered Version – das doch recht minimalistisch wirkende Studio-Setting auf. Die offensichtlich an Fäden hängenden Kampfdrohnen sind verschmerzbar, denn das war damals eben der höchste technische Standard. Aber scheinbar hat damals auch die Zeit, der Mut oder doch das Geld gefehlt, um Planetenoberflächen in natürlichen Umgebungen zu drehen. Und das merkt man leider allen Szenen, die auf der Oberfläche spielen, auch an. Die Studiowand ist hier einfach zu monoton blau, als dass diese hier als glaubwürdiger Himmel durchgehen würde. Zumal der Planet auch mehr grün als blau ist.
Nun gut, die erforderliche mechanische Führung der Drohnen hätte Außendrehs wohl auch selbst bei entsprechendem Budget verhindert, da dies mit einer Studiodecke sicherlich einfacher umzusetzen ist. Da mir die Story ohnehin wichtiger ist, trübt das den Gesamteindruck der Episode allerdings nicht. Man hätte den billigen Studio-Hintergrund aber wenigstens für die Remastered Version überarbeiten können.
Schauspielerisch sticht – wenig überraschend – LeVar Burton als Geordi La Forge hervor, dem man Geordis Dilemma in einer Notlage zu jeder Zeit abnimmt. Auch Marina Sirtis spielt ihre wenigen Szenen exzellent. Wer Sirtis auf einer Convention oder in einem Interview mal “in normal” erlebt hat, der weiß, wie sehr sie sich von ihrem Alter Ego unterscheidet. Und das belegt doch wiederum ihre schauspielerische Klasse.
Aber auch an dieser Stelle muss ich leider noch eine Sache loswerden. Die Szene, in der Crusher in ein Loch fällt und Picard das noch zu verhindern versucht, gehört für mich zu den am schlechtesten gespielten Szenen in 56 Jahren “Star Trek”. Sorry, bei aller Liebe für meine TNG-Helden, aber hier haben sich Patrick Stewart und Gates McFadden wirklich nicht mit Ruhm bekleckert. Gleiches gilt auch für Regisseur Les Landau, der diese Szene auch noch so durchgewunken hat.
Schlussbetrachtung
“The Arsenal of Freedom” ist eine starke “The Next Generation”-Episode und das in einem noch recht frühen Stadium der Serie. Sicherlich ist die Episode nicht perfekt, davon zeugen diverse Logiklöcher im Drehbuch ebenso wie das (zumindest heute) sehr billig wirkende Setting auf der Planetenoberfläche von Minos.
Auf der anderen Seite haben wir hier eine enorm starke Dramaturgie mit einem für die späten 80er-Jahre fast schon atemberaubenden Tempo. Hinzu kommt eine tolle Charakterentwicklung bei einer der Hauptfiguren. Damit war sogleich eine erste Weiterentwicklung des TOS-Serienformats eingeläutet. Und über all dem schwebt dann auch noch ein gesellschaftskritisches Narrativ, das so elementar ist, dass es auch heute noch – 35 Jahre später – von Belang ist.
Die aufgeworfene Fragestellung, ob Waffen Frieden und Freiheit garantieren, regt weiterhin zum Nachdenken und kontroversen Diskutieren an (gerne auch in unserem Kommentarbereich).
Unter dem Strich ist “Die Waffenhändler” also eine richtig gute “Star Trek”-Folge!
Episoden-Infos
Serie | Star Trek: The Next Generation |
Episoden-Nr. | 21 (Staffel 1, Folge 21) |
Originaltitel | The Arsenal of Freedom |
Deutscher Titel | Die Waffenhändler |
Story & Drehbuch | Maurice Hurley, Robert Lewin, Richard Manning, Hans Beimler |
Regie | Les Landau |
US-Erstausstrahlung | 11. April 1988 |
DE-Erstausstrahlung | 16. Februar 1991 |
Laufzeit | 43 Minuten |
Sternzeit (In-Universe) | 41798,2 (2364) |
Mein neuer Kriterienkatalog
Wie bewerten wir eigentlich Episoden? Diese Frage treibt mich um, seit ich für das TrekZone Network schreibe. Und das sind mittlerweile schon fünf Jahre.
Wir Rezensenten ziehen mitunter unterschiedliche Kriterien heran und gewichten diese auch nach eigenen Präferenzen. Am Ende steht dann ein – und das muss immer wieder betont werden – subjektiver Gesamteindruck. Kunst – und dazu zählt eben auch Film und Fernsehen – ist schlicht nicht objektivierbar. Aber man kann seine Bewertungen so transparent wie möglich machen. Und das tut man idealerweise mit einem nachvollziehbaren Kriterienkatalog.
Auch ich habe im Laufe der Zeit meine Kriterien immer wieder angepasst und verändert. Aspekte wie Humor, Charakterentwicklung oder auch Action- und Effekte gehören gewiss zum Gesamteindruck einer Episode hinzu. Seit unserem letzten Relaunch berechnet unser Content-System die Gesamtwertung allerdings basierend auf dem Durchschnitt der aufgeführten Kategorien. Das hat zu dem Problem geführt, dass alle besprochenen Aspekte auch zu gleichen Teilen gewichtet werden und es demnach zu Verzerrungen des Gesamteindrucks kommen kann. Zudem ist eine Maximalwertung von 5/5 Sternen somit praktisch nicht mehr möglich, da z.B. eine starke Episode mit einem eher ernsten Thema logischerweise auch sehr wahrscheinlich eine schlechte bis mittelmäßige Wertung im Bereich “Humor” erhalten wird.
Ich bin daher zuletzt so verfahren, dass ich einzelne Kriterien aus der Bewertung entfernt habe, um das Gesamtergebnis nicht zu verzerren. Das führt allerdings dazu, dass meine Rezensionen nun nicht mehr alle unbedingt vergleichbar sind. Folglich habe ich mich dazu entschieden, meinen Kriterienkatalog neu zu definieren und auf die für mich fünf wichtigsten Kriterien zu reduzieren. Darunter verstehe ich Aspekte, die für mich die grundsätzliche Qualität einer “Star Trek”- bzw. Science-Fiction-Episode ausmachen. Aspekte wie Humor, Charakterentwicklung oder auch Action/Effekte sind zwar ein schönes Zubrot, unter dem Strich aber nicht immer auch erwartbar, da dies stets von der jeweiligen Story abhängig ist.
Ich werde also künftig (zunächst einmal auf Probe) die folgenden Kriterien in die Bewertung aufnehmen:
Handlung: Erzählt die Episode eine interessante Geschichte? Ist diese Geschichte womöglich sogar innovativ (im Vergleich zu früheren Episoden)?
Dramaturgie: Verfügt die Episode über einen guten Spannungsbogen? Dazu zählen eine gute Einführung in die Thematik sowie eine konsequente Weiterentwicklung des erzählten Mysteriums oder der zentralen Problemstellung (z.B. Dilemma). Theoretisch kann eine Episode nämlich auf einer interessanten Story basieren, die dann aber nur suboptimal inszeniert wird. Das gilt es zu vermeiden.
Dialoge: Gute Dialoge gehen in der Regel mit einer interessanten Handlung einher. Aber was ist ein “guter” Dialog? Ein guter Dialog weiß die verschiedenen Facetten der involvierten Figuren zu nutzen. Zudem geht er inhaltlich in die Tiefe und vermeidet Banalitäten (z.B. sog. “Küchenpsychologie”). Besonders angetan bin ich von Dialogen, die historische Referenzen beinhalten, das Wesen des Menschseins oder des gesellschaftlichen Zusammenlebens reflektieren, oder die sich auf bekannte Personen, wie etwa Philosophen oder andere Intellektuelle der Menschheitsgeschichte, beziehen.
Anspruch: Eine Episode ist nach meinem Dafürhalten intellektuell anspruchsvoll, wenn sie bspw. über eine simple Rache-Story oder andere oberflächliche Geschichten, in denen es in Wahrheit nur um die Darstellung von Action und/oder Gewalt geht, hinausgeht. Im Kern erwarte ich von Science-Fiction – allen voran von “Star Trek” – Geschichten, die sich kritisch mit der Natur des Menschen, seiner Moral, seinem Denken und Handeln, seiner Lebensgestaltung und seiner Rolle in der Gesellschaft auseinandersetzen.
Atmosphäre: Dieses Kriterium ist wohl das subjektivste von allen. Hier geht es mir darum, ob es der Episode gelingt, ein “einzigartiges” Ambiente/Flair/Feeling zu schaffen, das mein Interesse weckt und mich emotional abholt. Dabei ist es unerheblich, ob es sich hierbei um eine eher als positiv oder negativ wahrgenommene Atmosphäre handelt. Die Episode kann sowohl optimistisch als auch düster, ernst oder humoristisch sein. Wichtig ist nur, dass sie eine affektive Wirkung bei mir auslöst.
Mir unverständlich, wie diese Folge eine so gute Bewertung bekommen kann. Die vage Idee – die nicht sonderlich gut ausgebreitet wird – mag interessant sein, aber das ganze Szenario und das Drehbuch sind nicht recht ernst zu nehmen. Eine nette Idee taugt nichts, wenn sie lächerlich umgesetzt wird. Und die End-1980er waren nun mal auch nicht mehr die 1960er.